Wahrheit (Krimipreis 2012)
geknallt. Er atmete tief durch. »Wo ist Corin?«, fragte er. »Sie wird dir sagen, dass das Mist ist. Sie kennt ihre Schwester, sie kennt mich. Sie wird’s dir sagen.«
»Sie ist übers Wochenende weggefahren. Ich werd sie damit jetzt nicht behelligen.«
»Lizzie soll es mir ins Gesicht sagen«, sagte Villani. »Sie soll mir in Gegenwart von Zeugen in die Augen sehen und sagen, sie habe mir mehrmals einen blasen müssen.«
Laurie schwieg, wollte um ihn herumgehen, Villani streckte den rechten Arm aus. Sie blieb stehen.
»Sag einfach nur, dass du mir glaubst«, sagte er. »Sag’s einfach, mehr nicht.«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Sie ist mein geliebtes Kind. Was soll ich noch sagen?«
»Adieu, du kannst Adieu sagen. Du und deine gottverdammte Schlampentochter, ihr könnt euch beide von mir verabschieden. «
Mit den Fingerspitzen schob Laurie ihre Haare nach hinten, rasch, er sah Grau an ihren Schläfen, das hatte er auch noch nie gesehen.
»Kann ich gehen?«, sagte sie.
Villani sah, wie groß und plump seine Hand war, ließ den Arm fallen. »Verabschiede dich von mir.«
»Adieu, Stephen«, sagte sie. »Geh jetzt.«
Und dann sagte er es.
»Sie ist sowieso nicht mein Kind. Warum schickst du nicht ihren Scheißvater los, um nach ihr zu suchen?«
»Hau ab«, sagte sie. »Dir trau ich alles zu.«
U nterwegs in der Hitze, die Klimaanlage musste kämpfen, wusste er einige irritierende Augenblicke lang nicht, wohin er fahren, was er machen sollte, und überfuhr ein paar rote Ampeln, langes Hupkonzert.
Die Wut verschwand abrupt, jetzt war ihm übel, er hatte einen trockenen Mund, Schmerzen im Nacken.
Wie ging man mit so etwas um? Man konnte nicht weiterarbeiten, wenn die eigene Tochter einen des sexuellen Missbrauchs bezichtigte. Jeder, den man kannte, würde einen mit anderen Augen betrachten. Verächtlich. Man war gestört, man war ein widerwärtiger Perversling, man konnte kein Chef mehr sein, keine Frau würde einem je wieder nahe kommen. Anna würde seinen Namen mit Schaudern aus ihrem Adressbuch streichen.
Weshalb sollte das Jugendamt so etwas durchsickern lassen? Falls Lizzie diesen Vorwurf erhoben hatte, waren sie verpflichtet, die Abteilung für Sexualverbrechen einzuschalten. Hatten sie das gemacht? Die Abteilung eingeschaltet und die Geschichte The Age zugespielt?
Er war jetzt in der Rathdowne Street. Am Park bog er links ab, fand eine Lücke, blieb eine Weile sitzen und sah Müttern zu, die ihren kleinen Kindern dabei zusahen, wie sie sich im Sandkasten vergnügten. Ein Kind zwang ein anderes, eine Handvoll Sand zu essen, das Opfer wehrte sich nicht, aber seine Aufsichtsperson zog es weg und steckte einen Finger in den dreckigen, klebrigen Mund.
Zwei Frauen, verschwitztes Fleisch, dicke Beine, Knirpse in Geländewagen, wie zum Kampfeinsatz. Sie sahen ihn an, keine flüchtigen Blicke, sondern herausfordernd, diese Frauen würden die Polizei anrufen und melden, dass ein Mann in einem Auto saß und Kinder in einem Park beobachtete.
Angeblicher Sexualverbrecher beobachtet Kinder in einem Park. O Gott, das hatte Lizzie ihm angetan, so weit hatte sie ihn gebracht.
Er stieg aus, lehnte sich an den Wagen, so sah es besser aus. Er hatte keine Angst, sein Gesicht zu zeigen. Jetzt brauchte er was zu rauchen.
Der Zeitungskiosk eine Straße weiter.
Er verschloss den Wagen, ohne hinzusehen, das gedämpfte Klicken, ging los, bog um die Ecke. Er war schon lange nicht mehr durch die Rathdowne Street gegangen, seit er und Laurie zur Miete in der Station Street gewohnt hatten, nicht mehr. Gab es die Pizzeria noch? Früher hatten sie mindestens einmal in der Woche dort gegessen, nur sie beide, dann mit der kleinen Corin, dann mit Corin und dem kleinen Jungen, Cashin gesellte sich oft zu ihnen. Als Lizzie da war, machten sie so etwas nicht mehr.
Er könnte Laurie anflehen, Lizzie zur Vernunft zu bringen. Niederknien und sie bitten, ihn zu retten. Wie konnte sie diesem kleinen Hippiemiststück glauben und nicht ihm?
Sie konnte. Sie hatte es getan.
Er hatte sie angelogen, ja. Doch sie wusste nicht alles. Über manche Lügen wusste sie Bescheid, er hatte dümmliche Lügen erzählt, einige Lügen hatte er gestanden. Man log, weil man andere Leute nicht kränken wollte. Welchen Sinn hatte es, etwas zuzugeben, was schon Vergangenheit war? Was bald Vergangenheit sein würde.
Er verdiente Laurie nicht, das hatte er nie bezweifelt. Sie war ein guter Mensch, sie konnte gar nicht lügen. Er hatte nie
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