Wahrheit (Krimipreis 2012)
nicht drucken, als wäre es …«
»Das können sie«, sagte Searle. »Und sie werden’s auch tun.«
»Tja. Herrje.«
»Abwarten«, sagte Searle. »Ich bin an dem Fall dran.«
»Sehr freundlich«, sagte Villani.
»Keine Sorge. Müssen zusammenhalten. Ihre Frau, die
steht doch zu Ihnen, stimmt’s? Und wird Sie voll und ganz unterstützen?«
Was sollte er sagen? »Natürlich. Meine ganze Familie.«
»Gut. Geschlossen auftreten, das ist die Hauptsache. Drogensüchtiges Kind, klar… Ich melde mich bald wieder, Mann.«
Villani saß da, Telefonhörer in der Hand. An seinem Arm traten die gespannten Sehnen hervor.
Wie konnte ihm das kleine Miststück so was antun? Er fand sein Handy, Lauries Nummer. Sie ging sofort dran.
»Ich bin’s«, sagte er. »Wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Bleib da. Ich bin unterwegs.«
E r parkte in der Auffahrt hinter Lauries VW und klopfte an die Vordertür. Sie machte auf.
»Was hat Lizzie dir gesagt?«, fragte er, die Zähne zusammengepresst.
Laurie sprach langsam, als hätte sie das Englische verlernt. »Sie hat gestern Abend angerufen und gesagt, sie habe Angst. Nach Hause zu kommen. Sagt sie. Sie könne hier nicht wohnen. Weil du sie gezwungen hast … du sie missbraucht hast.«
»Sie missbraucht. Wie?«
»Sie musste dir einen blasen. Wiederholt.«
Der Tag, die Uhrzeit, die Hitze, wo er war, alles verschwand. Irgendetwas blockierte seinen Hals, er versuchte, sich zu räuspern.
»Ich?«
»Das hat sie ihnen erzählt, ja.«
»Wem erzählt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was genau hat sie ihnen erzählt?«
»Du seist in ihr Zimmer gekommen. Hättest sie geweckt. Mehrere Male.«
»O Gott«, sagte er, er zitterte, innerlich. »Sie ist nicht bei Trost. Wie kann sie das tun?«
Laurie schaute ihn an, und da sah er es.
»Sieh mich nicht so an, sieh mich nicht so an … sag, dass du’s nicht glaubst.«
Sie schwieg.
»Sag es.«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, sagte sie. »Ich bin unter Schock.«
Die Gewalt nahm ihn in Besitz, er packte Lauries Schultern, schüttelte sie. »Du glaubst ihr nicht. Sag’s, verdammt. Sag es.«
Sie wehrte sich nicht, ihr Kinn sank auf ihren Brustkorb, und er sah ihre weiße Kopfhaut unter dem Scheitel. Alle Wut schwand, er ließ die Arme sinken und versuchte, sie auf den Kopf zu küssen, doch sie entzog sich ihm.
»Tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid. Tut mir leid.«
Sie wich zurück, ließ ihn nicht aus den Augen. Er sah kein Verständnis, nur Fassungslosigkeit. Sie hielt es für möglich, für denkbar, sie konnte sich vorstellen, dass er es tat. Wie konnte das sein? Wie konnte sie nicht instinktiv spüren, dass es unmöglich war?
Laurie machte kehrt und ging. Er folgte ihr in die Küche. Sie entfernte sich so weit wie möglich, bis zur Spüle.
»Damit eins klar ist«, sagte Villani, blinzelte, seine Augen waren feucht. »Ich habe dieses Mädchen in meinem ganzen Leben nie angefasst, außer um ihr einen Kuss zu geben. Ich habe nachts nie ihr Zimmer betreten. Ich habe sie nie dazu gebracht, irgendetwas mit mir zu tun, und wenn ich es getan hätte, würde ich mir mein Scheißhirn aus dem Schädel pusten.«
Laurie wusch einen sauberen Teller ab, achselzuckend, er sah, wie sich die Schulterblätter bewegten. »Sie ist wichtig«, sagte sie. »Du nicht.«
Er hätte ihr einen Schlag auf den Kopf versetzen können, so sehr traf ihn diese Ungerechtigkeit. Er riss sich zusammen. »Du weißt doch, wer dahintersteckt, oder?«, sagte er. »Es ist dieser Abschaum, mit dem sie sich rumtreibt. Die wollen Geld aus ihr rausholen.«
Laurie trocknete ihre Hände an dem Geschirrtuch, ließ sich
Zeit, rieb jeden einzelnen Finger. »Wir werden sehen«, sagte sie.
»Wo ist sie?«
»Sie sagen, man habe sie in Obhut gehabt, aber sie habe sich wieder abgesetzt.«
»Also ist sie ihnen durch die Lappen gegangen?«
»Offenbar.«
»Du weißt, wo sie ist, stimmt’s? Hab ich recht?«
»Tu ich nicht. Ich weiß es nicht.«
Laurie drehte sich um, gefasste Miene, verschränkte die Arme. Tiefe Falten lagen wie Klammern um ihren Mund. Die waren ihm noch nie aufgefallen. »Stephen, halt dich da raus. Du machst es sonst nur noch schlimmer.«
Villani schaute zu Boden, atmete zweimal tief durch. »Ich soll’s einfach hinnehmen?«, sagte er. »Sie erzählt den Fürsorgeheinis Lügen über mich, und ich geh einfach zur Tagesordnung über?«
»Lass es, Stephen.«
Am liebsten hätte er seine Wut laut herausgebrüllt, ihren Kopf gegen den Kühlschrank
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