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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Zeit.«
    »Natürlich dauert das seine Zeit. Alles dauert seine Zeit, verdammt.«
    Er spürte, dass Kielys Hass wie warmes Olivenöl in sein Ohr sickerte.
    … zwei noch nicht identifizierte Männer starben heute früh kurz nach Mitternacht, als ihr Wagen auf der Western Ring Road von der Fahrbahn abkam und explodierte …
    Er machte sich auf nach Essendon.

I n dem großen, halbdunklen Raum in der Wellblechhalle, wo das Licht aus schmutzigen Oberlichtfenstern fiel, wo Leute seilsprangen, auf Sandsäcke droschen, im Ring tänzelten, wärmte sich Villani vor dem Spiegel beim Schattenboxen auf; kein Seilspringen, er ertrug es nicht, wenn die Speckfalten schwabbelten. Er ging weiter zum Speedball, dem an zwei Enden aufgehängten Punchingball. Als er aufhörte, fühlten sich Beine und Arme wie Pudding an, seine Hände, Ellbogen und Schultern schmerzten.
    Les wurde auf ihn aufmerksam, stand im Ring, große Sparringhandschuhe auf dem Seil, ein langer weißer, tätowierter Knabe verließ gerade den Ring, mit Flecken auf den Armen.
    »Kommaher«, sagte Les und winkte mit dem Handschuh.
    Villani ging über den rissigen Beton, in dem sich der Schweiß von sechzig Jahren gesammelt hatte.
    »Wo haste gesteckt?«, sagte Les. »Siehst scheiße aus.«
    »Arbeit«, sagte Villani. »Arbeiten und Schlafen.«
    »’n Scheißschmalzfass«, sagte Les. »Guckma deine Beine an, Kack-Zellulitis.«
    »Bloß zwei, drei Kilo«, sagte Villani. »Kann ich jederzeit loswerden.«
    »Komm rein, werd sie mit mir los«, sagte Les. »Kleines Kämpfchen is genau das Richtige, ich werd nächsten Geburtstag sechsundsechzig, wie gefällt dir das? Bisschen jung für dich, Schweinebulle?«
    Wenn er einen aufforderte, war mitmachen Pflicht. Sonst
war man im Club weniger willkommen, musste sich eine andere Halle suchen, aber es gab keine anderen Boxhallen wie Bombers, sah man von einem Schuppen in Richmond ab, der noch spezieller war, wo man für Flüchtlinge aus Bombers nichts übrig hatte.
    Les’ Bilanz als Amateur belief sich auf einundfünfzig Kämpfe, achtunddreißig Siege, im Leichtgewicht, elf technische K. o., nie hatte er einen einzigen Gegner k. o. geschlagen, dazu fehlte ihm der Punch, aber er war auch nie k. o. geschlagen worden. Er war ein sachlicher Boxer, tänzelte nicht herum, war auch kein Schläger. Seine Laufbahn bei den Profis war kurz gewesen: elf und vier, seine letzten drei hatte er verloren, zweimal in Folge ausgeknockt. Beim zweiten Mal wachte er im Krankenwagen auf. Und dann bewies er, dass er nicht dumm war. Er beendete seine Karriere als Boxer und begann ein neues Leben: als Pferdebursche, als Jockey, als stellvertretender Geschäftsführer eines Boxclubs, als Boxtrainer, um vier Uhr aufstehen, abends um neun ins Bett.
    Villani legte einen Kopfschutz an, näherte sich dem Ring, scheiß auf den Mundschutz, er bekam schon keinen Schlag auf den Mund.
    Les wies auf seinen Mund. »Haste jetzt die Falschen drin? Brauchst du keine Zähne?«
    Villani ging zu seiner Tasche, fand den Mundschutz, Gott allein wusste, welche Bakterien daran klebten.
    Einmal, als er hier anfing, hatte er Les beim Sparring mit einem Mann zugesehen, der dreißig Kilo schwerer war, einen ganzen Kopf samt Schultern größer, ein Footballstar aus North Melbourne, ein Mann, der sich für einen Boxer hielt, inzwischen eine lebende Legende, man hörte ihn im Radio von den guten alten Zeiten plaudern, wie hart es gewesen war, welche Typen er plattgemacht hatte. Les traf ihn nach Belieben, nicht fest, piesackte ihn. Der Mann verlor die Kontrolle, der rote Nebel, er vergaß zu boxen und ging auf Les los,
wollte ihn packen. Les ging ein paar Schritte zurück, stand plattfüßig da. Er schlug den Mann zwei-, dreimal ins Gesicht, dann in die Rippen, beidhändig, vier oder fünf Schläge so schnell, dass man sie nicht auseinanderhalten konnte.
    Der Mann ließ die Arme sinken, sackte in sich zusammen, wankte nach Luft schnappend beiseite, hing am Seil, um nicht zu fallen, würgte.
    »Du darfst nicht so offen sein, Mann«, sagte Les, »sonst tut dir noch mal jemand weh.« Er winkte den nächsten Sparringspartner heran.
    Als Villani jetzt im Ring stand, ging er direkt auf den kleinen, hageren Mann los. Für Tändeleien hatte Les nur Verachtung übrig, jemanden umkreisen und herumfuchteln war Zeitverschwendung. »Spar dir das für wenn du in der Scheiße sitzt«, sagte er.
    Les stand in perfekter Grundhaltung da, dünne weiße Beine, weiße Söckchen, Hände bewegungslos, Mund

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