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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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immer in Bewegung, sieh mich an, sieh meine Hände an, ach Gottchen, du siehst langsam aus, Bürschlein, scheißlangsam, sieh mich an…
    Sie tauschten Finten aus, Villani erwischte es im Gesicht, nicht fest, lass die Hände oben, bist kein Ali, du Arsch, nahm die Hände hoch und bekam eine Linke und eine Rechte in die unteren Rippen, das tat weh, Les attackierte ihn jetzt rechts, nicht seine gute Seite, er hatte nie eine gute Seite gehabt, er brachte seine Linke durch. Les runzelte die Stirn – he, he, ’n alten Mann schlagen, typisch Scheißbulle .
    Er hatte Xavier Dance im Bombers kennengelernt, musste damals wohl neunzehn gewesen sein. Dance war ein, zwei Jahre älter, ein guter Boxer, elegant, aber ihm stieg das Blut in den Kopf, er verlor die Konzentration. Außerdem steckte er nicht gern ein. Damals gab es noch die Polizeiwettkämpfe, zweimal boxten sie um den Titel, einen verloren, einen gewonnen, Villani fand, er habe genug gezeigt, um auch den
zweiten zu gewinnen. Matt Cameron, Chef der Räuber, war an diesem Abend in der Halle, er kam rum und sagte: »Schon mal dran gedacht, zu den Räubern zu wechseln? Das wär vielleicht was für Sie.«
    »Komm schon«, sagte Les. »Die Rechte, Fettarsch, mehr hast du nie gehabt.«
    »Du kannst mich mal.« Villani teilte ein paar Schläge aus, Les blockte sie ab, wich zurück, griff wieder an, kurze Schläge mit der Führhand, dann traf seine Rechte Villani im Gesicht.
    Im Bombers angenommen zu werden, hieß, dass man es mit dem Training und dem Boxen ernst nahm und nichts dagegen hatte, sich von Les sagen zu lassen, was man falsch machte, warum es ihm so leichtfiel, einen zu treffen, dass man ein Arschgesicht sei. Er spazierte um einen herum, schlug ein bisschen zu, was nicht sehr wehtat, einen aber müde machte, und auch wenn man durchhielt, spielten nach einer Weile die Füße nicht mehr mit, man verlor die Balance, und dann verpasste er einem seinen linken Haken, traf den Kopf, den Körper, ein guter Schlag, der im Lauf der Jahre kaum schwächer wurde.
    »Langsam wie ’ne Schnecke, du Schwabbel«, sagte er jetzt.
    Sie tauschten Finten aus, Villani griff an, ließ die Ellbogen am Körper, versuchte, Les zurückzudrängen, Les schoss eine Linke ab, Villani setzte nach, deckte ihn mit einem Hagel von Schlägen ein, die alle abgeblockt wurden, Les narrte ihn, setzte nach, verpasste ihm eine kurze Rechte in den Solarplexus, traf ihn mit einer Linken in die Rippen, Schmerzen.
    »Meine Güte«, sagte Villani. »Mach mal halblang. Ich bin müde.«
    »Du Mädchen«, sagte Les. »Du Bullenmädchen.«
    Es war nicht lustig. Nach nicht einmal einer Minute stakste er um Les herum, mit schweren Beinen, schwer atmend. Er bekam ihn nie zu fassen, machte ein paar harmlose Schwinger, verlor die Konzentration, wollte ihm den Kopf abschlagen.

    »Herrje, sind wir jetzt ein Kämpfer?«, fragte Les. »Hast meine Zeit vergeudet. Technik, Jungchen, Technik, sonst biste bloß ’n beschissener Kneipenschläger.«
    Villani hatte zu boxen begonnen, weil er nicht mutig war, weil sein Vater immer so tat, als wäre sein Ältester mutig, und sein Ältester wusste, dass das nicht stimmte. Was ihm keine Ruhe ließ. Er dachte, Boxen würde ihm vielleicht Mut geben. Dem war nicht so, doch es gefiel ihm von Anfang an – die Übungen, der Drill. Und am meisten das Sparring, die Kämpfe. Wenn man im Ring stand, im Adrenalinrausch, und über die Deckung seiner Fäuste hinweg in die versteinerten Augen des anderen Mannes sah, nahm eine große Ruhe von einem Besitz.
    Es gab nichts anderes, eine Welt hielt an. Nur zwei Männer, der Geruch von Handschuhleder, von Harz, von Salbe, man nahm an einem Tanz teil, hypnotisierte sich gegenseitig. Im Ring wurde die Zeit elastisch, dehnte sich aus, zog sich zusammen, dehnte sich aus. Man fühlte sich auf eine Art lebendig wie nirgendwo sonst. Es gab ein Gefühl von Ordnung, es gab Regeln, es gab eine klare Absicht, Mittel und Wege, es gab Disziplin und Macht. Man empfand wenig Schmerz, die Konzentration galt einzig und allein dem Gegner. Er war das Universum. Er war man selbst, und man selbst war er.
    Les wich ihm nicht mehr aus, sondern ging auf ihn los, auf sein Gesicht und seinen Körper, oben, unten, vier, fünf, sechs, sieben Schläge, eine Schlagfolge, die er zehntausendmal gemacht hatte, Villani hatte die Deckung oben, wich zurück, auf den Fußsohlen, die Hände einen Moment zu weit oben, nicht ganz ausbalanciert.
    Die linke Hand bohrte sich in Villanis

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