Wahrheit (Krimipreis 2012)
gerade …«
»Welches Polizeirevier?«
»Wo bist du?«
»Unterwegs vom Flughafen. Wo ist sie?«
»St. Kilda. Sie behalten sie dort.«
»Wir haben Viertel vor zwei, wie lange ist sie schon dort?«
»Eine Weile, doch. Stunden. Kannst du sie abholen? Ich hatte ’ne schlimme Nacht, bin noch nicht ganz fertig.«
»Wir reden hier von deiner Tochter«, sagte Laurie. »Du jämmerlicher beschissener Dreckskerl.«
Anruf Ende.
Colby trat ein, Augen wie Schlitze, Haare angeklatscht, Hände in den Taschen seiner Windjacke, sah sich um, als hätte man ihn beauftragt, den ganzen Laden zu desinfizieren.
»Sie sind früh auf, Chef«, sagte Villani. »Oder spät.«
»Das hier ging total in die Hose«, sagte Colby.
»Lässt sich nicht bestreiten.«
»Nein. Wann hat Sie dieser verfluchte Todeswunsch überkommen? «
»Ich würde sagen, würde sagen, auf dem Band gibt’s Interessantes zu sehen.«
Colby musterte ihn aus blutunterlaufenen Augen, tiefe Falten führten zur Nase. »Muss mal pullern«, sagte er. »Soll ich Ihnen den Tatort vollpissen? Oder in eine Plastiktüte?«
»Den Gang runter, zweite Tür links«, sagte Villani.
Er wartete, dachte an nichts, sah der Spurensicherung zu, die Fingerabdrücke sicherte. Er spürte das Gewicht seines Körpers, seine schmerzenden Schultern, die Waden, spürte, wie viel Zeit seit dem Aufwachen vergangen war.
Finucane neben seiner Schulter. »Chef, sie sagen, die Identifizierung dauert. Von den Typen ist nichts übrig geblieben. Aber sie hatten zwei Kanonen.«
Colby kam wieder. Finucane trat den Rückzug an.
»Zurückhaltend formuliert«, sagte Colby, »haben Sie rund um die Uhr mit Schadensbegrenzung zu tun. Vergessen Sie angeblich Interessantes auf irgendeinem Scheißband, das liegt im Giftschrank. Ein beschissenes Wespennest.«
»Wieso?«
Ein Bob-Villani-Blick, das typische Herrgott noch mal, wie oft muss ich dir das noch zeigen ?
»Denken Sie mal drüber nach«, sagte Colby, »wie viele Leute hier mit drinstecken. Die Leute von der Mautstraße, die es Ihnen erzählt haben. Ihr eigene Saubande. Wie viele haben den Namen gehört? Barrys Büro. Ich. Was ist mit mir? Vielleicht fall ich Ihnen in den Rücken.«
»Und?«
»Sagen Sie Ihren Leuten, wenn sie irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über Interessantes auf dem Band erzählen, ist ihre Laufbahn beendet. Klar?«
Colbys Assistent kam rein, flüsterte ihm etwas zu.
»Die Hyänen sind da«, sagte Colby. »Searles Meerkatzen
sei Dank. Ich verschwinde durch den Hinterausgang. Brauchen Sie einen Rat, was Sie sagen sollen?«
»Nein, Sir.«
»Sagen Sie mir nicht, Sie hätten was gelernt. Schockieren Sie mich bloß nicht.«
Villani wartete eine Weile. Finucane wartete mit den Händen in den Taschen. Sie gingen runter, überquerten die schmale, gelb geflieste Fläche bis zu den Glastüren, eine Uniform öffnete eine Tür. Die Schlange war ein paar Meter entfernt, drei Cops, Beleuchtung, Kameras, mächtige Mikrofone, ungepflegte Techniker.
Die Reporter ließen ihre Zigaretten fallen, traten vor, drittklassige Reporter, die Haare steif von Chemikalien.
Villani ging zu der Meute hin, war ein paar Sekunden lang geblendet.
»Guten Morgen«, sagte er, wartete.
Der Junge von Kanal Neun hob die Hand, sagte: »Inspector, die Oakleigh-Morde, darum geht es, wie es hieß, können Sie bestätigen…«
»Nein«, sagte Villani.
»Es geht nicht um die Oakleigh-Morde?«
»Ich kann nur sagen, dass hier im Zuge von Ermittlungen ein Grundstück durchsucht wird.«
Schweigen. Das stand nicht im Drehbuch.
»Inspector, die Schüsse, die abgegeben wurden …«
»Es gab den Versuch, eine für uns interessante Person zu befragen, die sich entfernte, ehe dieses Gespräch stattfinden konnte«, sagte Villani. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe vor Tagesanbruch noch etwas zu erledigen.«
Eine Frau sagte: »Inspector, finden Sie nicht, wir verdienen …«
Villani hätte am liebsten gesagt, Kanal Sieben verdiente genau das, was er bekam, stattdessen sagte er: »Ich kann nicht mehr sagen, weil es nicht mehr zu sagen gibt. Danke sehr.«
Finucane ging voraus, die Menge teilte sich, sie gingen die Straße hinunter zu ihrem Wagen, einen halben Block entfernt. Finucane wendete vorsichtig.
»Nach Hause, Chef?«, fragte er.
»Was genau ist das eigentlich?«, sagte Villani. »Und wo?«
Lauries VW stand in der Auffahrt, die Außenbeleuchtung am Haus brannte. Mit bleischweren Schritten ging Villani den Weg hinunter,
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