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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Gehirn«, sagte er. »Man weiß nicht genau, was.«
    Villani fragte nie wieder nach ihr. Den Brief faltete er zusammen und legte ihn in seine Bonbondose aus Blech, unter die beiden Fotografien seiner Mutter. Er las ihn nie wieder, und er vergaß nie ein einziges Wort darin.
    Er fuhr auf der Victoria Parade Richtung Osten. Er dachte zu viel über Dinge nach, die nicht zu ändern waren. Er sollte bei Bob sein, auf das Feuer warten, sie beide, ohne viel zu reden, über das nachdenken, was unerledigt war, was immer unerledigt bleiben würde.
    Man konnte die Pferde in einem Transporter wegbringen, man konnte versuchen, das Haus, die Farmgebäude zu retten. Aber ihr Wald. Falls die Flammen über den Hügel im Norden kamen, falls der Wind die überhitzte Luft das Tal hinunter
wehte, war der Wald verloren. Jedes einzelne Blatt würde schrumpfen, die Eukalypten würden explodieren. Früher hatte man geglaubt, sie würden geboren, um zu verbrennen und zu neuem Leben zu erwachen, Jesusbäume hatte Bob sie früher genannt. Doch das war vor dem Schwarzen Samstag gewesen. Auch sie würden sterben und alles mit sich nehmen. Die Eichen, das Unterholz, jedes einzelne lebende Wesen. Marysville, Kinglake – danach war nichts mehr wie zuvor, man konnte nie mehr in der gleichen Weise an Feuer denken wie vor dem Schwarzen Samstag.
    Er bog in die Hoddle Street, leichter Verkehr, die Leute schlugen dem Stau ein Schnippchen, früh zur Arbeit fahren, früh wieder wegfahren, die Mautstraße schenkte den Autosklaven ein paar Minuten Vergnügen, sie rauschten mit hundert Stundenkilometern dahin, dann ging gar nichts mehr, sie krochen in das Hauptgeschäftsviertel. Die Innenstadt brauchte dringend Max Hendrys AirLine.
    Ihm fiel der quadratische Umschlag ein, der Dienstag unten am Empfang abgegeben worden war. Ein dickes Blatt Papier.
    Victoria Hendry,
Capernaum, Coppin Grove, Hawthorn
     
    Lieber Stephen,
     
    es war ein wirklich ein Vergnügen, Sie neulich abends kennenzulernen. Falls Sie die Zeit fänden, würden Max und ich Sie gern am Freitag zum Hendry’schen Grillabend begrüßen. (Das ist so eine Art sommerliche Tradition, nur ein paar Leute am Pool, gegen achtzehn Uhr geht’s los.) Wir rechnen fest mit Ihnen. Kommen Sie unbedingt.
     
    Herzlichst,
Vicky H.
    Villani sah das öffentliche Schwimmbad, schaute hinüber zu der Stelle auf der anderen Straßenseite, wo an einem kalten Abend im Jahr 1987, hinter einer Werbetafel verborgen, ein junger Außenseiter, ein entlassener Heereskadett, ein Häufchen geballter unbegreiflicher Wut, auf den vorbeifahrenden Verkehr geschossen hatte. Er traf eine Windschutzscheibe, die Fahrerin hielt verdutzt an, stieg aus. Er erschoss sie. Autos hielten, zwei Männer liefen zu ihr hin. Villani erinnerte sich an das Verhör.
    Der erste Mann fiel auf die Straße, und dann der zweite, keine Ahnung, woher der kam, aber den hab ich auch umgelegt.
    Und schienen sie alle tot zu sein, als Sie …?
    Die, die als Erste auf die Straße gefallen ist, die war nicht tot.
    Was geschah dann?
    Och, ich hab noch zweimal geschossen.
    Zu welchem Zweck?
    Um ihr den Rest zu geben.
    Sie verließen gerade ein Haus in Footscray, er und Dance, als der Funkspruch kam.
    … alle Einheiten, alle Einheiten, es wurden Schüsse abgegeben und Personen sind zu Boden gegangen, möglicherweise tödlich getroffen. Ich wiederhole, mehrere Schüsse wurden abgegeben, und der Täter ist noch auf freiem Fuß, jede Einheit, die sich in der Nähe des Bahnhofs Clifton Hill befindet…
    Als sie dort eintrafen, war der Schütze verschwunden, Hoddle Street sah aus wie nach einem Bombenangriff, überall Autos, ein Motorrad lag auf der Seite, sieben Menschen waren tot oder lagen im Sterben, neunzehn Verletzte.
    Eine Zeit lang glaubte niemand, dass es sich um das Werk eines einzelnen Schützen handelte, das Radio verbreitete Furcht und Schrecken, Hausbesitzer gerieten in Panik, der Hubschrauber kreiste über den gesetzestreuen Straßen von
North Fitzroy, sein Suchscheinwerfer verwandelte die Nacht in einen gelben Tag, die SOGler rannten im Kampfanzug durch Häuser, eine Frau behauptete später, dabei sei eine Vase zerdeppert worden.
    Und dann war es vorbei, die niederträchtige Kreatur hatte sich ergeben, Nicht schießen, nicht schießen , gerufen, in Todesangst.
    Villani nahm den Abzweig zu Rose’ Vorort, hielt an einem Kiosk und kaufte die Zeitungen, las sie im Wagen.
    Auf der Titelseite der Herald Sun prangten Bilder von Kidd und Larter,

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