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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Klatschen.
    »Ich kann was bitte für Sie tun?«, sagte Bob Villani.
    »Mir reicht’s mit eurem beschissenen Ungeziefer«, sagte der ältere Mann. »Hab ich Ihnen schon an der Tankstelle gesagt, aber Sie hören ja nicht zu, verdammt. Letzte Nacht mussten sechs Lämmer dran glauben.«
    »Fluchen Sie nicht vor meinem Jungen«, sagte Bob mit ruhiger Stimme.
    Der Mann kratzte sich am Kopf, verschob die Strähnen. »Tja, ihr beide könnt mich mal am Arsch lecken, entweder bringt ihr die Viecher um, oder wir tun’s, sechs von uns und die Hunde, jede Menge Hunde.«
    Bob nahm das Zippo-Sturmfeuerzeug aus seiner Hemdtasche, klappte den Deckel hoch, machte Feuer. Er zog an der Zigarette, klaubte einen Tabakfaden von seiner Unterlippe.
    »Wie heißen Sie noch gleich?«, sagte er.
    Der Mann verdrehte die Stiefelspitze. »Collings, hab Ihnen meinen Namen schon gesagt, verdammt noch mal.«
    »Collings«, wiederholte Bob. »Collings. Nun, Mr. Collings, Sie spielen mit Ihrem Leben. Wenn Sie auf meinem Grund und Boden ein Tier schießen, schieße ich zehn auf Ihrem. Das kann mit Ihnen beiden beginnen oder enden, mir ist das gleich.«
    Villani erinnerte sich noch an die Stille, Mark und Luke hinter ihm, drängten, drückten die Hände an seinen Rücken. Sein Vater sah die Männer an, atmete Rauch ein und blies dann einen einzelnen perfekten Ring, der in der unbewegten Herbstluft wuchs, hing, rollte.
    Und dann schnipste sein Vater die Zigarette an Collings’ Gesicht vorbei, verfehlte ihn um Handbreite und sagte die
Worte: »Vielleicht möchten Sie es jetzt gleich regeln, Mr. Collings? Warum treten Sie nicht ein wenig zurück, dann können Sie’s beide versuchen.«
    Nach einem Weilchen sagte Collings: »Das hättest du wohl gern«, und die Männer gingen davon. Im Pick-up schrie der Ältere: »Leck mich am Arsch!«
    Durchdrehende Räder, Staub wirbelte auf.
    Das Herz schlug Villani bis zum Hals, als er Bob fragte: »Hättest du es getan?«
    »Was?«
    »Gegen beide gekämpft.«
    Bob sah ihn an, das leichte Lächeln. »Mein Wort drauf«, sagte er.
    Noch wochenlang, wenn Villani mit den Jungs allein war, erstarrte er jedes Mal, sobald er ein Fahrzeug hörte. Doch sie kamen nie, die Männer mit den Hunden, sie kamen nie.

D ie Dunkelheit lagerte noch haushoch zwischen den Mauern der Stadt, blockierte die Fahrspuren, die Eingänge, hing in den Straßenbäumen, während Villani unter ihren Klippen dahinfuhr, nach Lizzie Ausschau hielt, in die Gassen spähte. Er verhielt sich wie ein Cop, Cops sahen die Welt nicht wie andere Menschen. Bis zum Beweis des Gegenteils hielten sie alles und jeden für verdächtig.
    Zwei Jungs überquerten die Straße, schlabbrige Klamotten, der Kleinere humpelte, der andere hatte seine Kapuze auf. Wie alt? Zehn, zwölf, nicht viel älter. Im Morgengrauen im Geschäftsviertel. Wo hatten sie geschlafen? Sie glichen Füchsen, waren Jäger und Beute.
    Er dachte daran, wie er mit zwölf gewesen war. Er wusste damals schon vieles, aber er wusste wenig über die intime Körperlichkeit der Erwachsenen, hatte nur einen Blick auf die Gewalt erhascht. Heute hatten manche Kinder dieses Alters schon jeden sexuellen Akt gesehen, jedes Stoßen, Lutschen, Schlagen, Würgen, sie hatten alle Formen der Gewalt gesehen. Nichts war mehr seltsam oder schockierend, Vertrauen, Ehrlichkeit, Tugend waren ihnen fremd.
    Sie hatten nichts als ihre Existenz, in all ihrem achtlosen, freudlosen Schrecken.
    Lizzie. Trat alles mit Füßen, ihr Zuhause, die Geborgenheit, die Liebe ihrer Mutter. Für was? Begriff sie nicht, wie kostbar die Liebe einer Mutter war?
    Bob gab eines Sonntags Villani den Brief, nicht lange nachdem
er ihn und Mark aus Stella Villanis Haus abgeholt und auf die Farm gebracht hatte. Er war mit Kuli auf dünnem, blassblau liniertem Papier geschrieben, das jemand aus einem Übungsheft gerissen hatte.
    Meine geliebten Jungs, ich schreibe dies, damit Ihr wisst, wie sehr ich Euch liebe und wie sehr Ihr mir fehlt. Ich bin lange krank gewesen, doch jetzt geht es mir viel besser. Ich hoffe, bald bei Euch zu Hause zu sein. Seid bitte brav und in der Schule fleißig. Mein Liebling Stephen, Du musst auf meinen Liebling Mark gut aufpassen. Sprich mit Deinem Dad, wenn es irgendetwas gibt, was er über die Schule wissen sollte. Vergesst nie, dass ich Euch immer und ewig liebe.
    Eure Mum
    Zum ersten Mal stellte Villani seinem Vater die Frage.
    »Dad, was für eine Krankheit hat Mum?«
    Bob schaute weg. »Irgendwas stimmt nicht im

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