Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
ungefähr so wie jetzt.«
»Eric weiß, wie schwer das alles für mich ist«, sage ich. »Und jetzt ist es so, als würde ich ein Puzzle machen und Eric hätte das letzte Teilchen die ganze Zeit in der Hosentasche.«
»Vielleicht hat er ja seine Gründe, warum du das Puzzle nicht fertig machen solltest«, sagt Ruthann. »Ich will damit nicht sagen, daß Eric sich richtig verhalten hat. Ich will nur sagen, daß es vielleicht auch nicht falsch war.«
Wir fahren schweigend bis Flagstaff, wo wir nach rechts abbiegen. Ruthann dirigiert mich zu einer Abzweigung zum Walnut Canyon. Wir halten auf einem Parkplatz neben dem Pick-up eines Rangers, doch das Tor ist noch zu. »Komm mit«, sagt Ruthann. »Ich will euch was zeigen.«
»Wir müssen noch warten.«
Aber Ruthann steigt einfach aus und greift nach Sophie auf dem Rücksitz. »Nein, müssen wir nicht«, sagt sie. »Ich bin hier zu Hause.«
Wir klettern über das Tor und folgen einem Pfad in einen Canyon hinein, der sich wie ein Riß zwischen den scharlachroten Felsen öffnet. Feigenkakteen und Pinyon-Kiefern markieren den Pfad, der sich in engen Windungen dahinschlängelt, auf der einen Seite ein über hundert Meter tiefer steiler Abgrund, auf der anderen eine Felswand. Ruthann bewegt sich schnell, überwindet Engstellen und kriecht um Felsspitzen herum und zwängt sich durch Spalten. Je tiefer wir vordringen, desto einsamer kommt mir die Gegend vor. »Weißt du, wo du hinwillst?« frage ich.
»Na klar. Mein schlimmster Alptraum war immer, mich hier mit ein paar pahanas zu verirren.« Sie dreht sich zu mir um und läßt ein Lächeln aufblitzen. »Von dem Siedlertreck damals, der unter Führung von George Donner in der Sierra Nevada vom Winter überrascht wurde, konnten einige nur überleben, weil sie sich von Menschenfleisch ernährt haben, und zuerst wurden die Indianer verspeist.«
Wir steigen hinunter in den Canyon, und die Lücke zwischen unserem Pfad und den Felsmassen wird immer enger, bis wir schließlich irgendwie auf die andere Seite gelangt sind. Sophie entdeckt es als erste. »Ruthann«, sagt sie, »da ist ein Loch im Berg.«
»Das ist kein Loch, Siwa«, sagt sie. »Das ist ein Haus.«
Als wir näher kommen, kann ich es sehen: In den Kalkstein sind Hunderte von kleinen Räumen gehauen, übereinander gestapelt wie ein von der Natur geschaffenes Apartmentgebäude. Der Weg schraubt sich um den Berg herum, bis wir die Öffnung von einer der Felsbehausungen erreichen.
Sophie und Greta sind ganz begeistert von der Höhle und laufen von der Zeder, die sich in die Türöffnung hineingekrümmt hat, bis ganz nach hinten. Die Rückwand der Höhle ist schwarz verrußt; es riecht nach trockener Hitze und schneidendem Wind. »Wer hat hier gelebt?« frage ich.
»Meine Vorfahren - die Hisatsinom. Sie kamen hierher, als der Sunset-Krater im Jahre 1065 ausbrach und ihre Erdhäuser und Höfe verschüttete.«
Sophie jagt Greta um ein kleines Quadrat aus Steinen herum, das einmal die Feuerstelle gewesen sein muß. Ich stelle mir vor, wie eine Familie drum herum gesessen und sich bis in die Nacht Geschichten erzählt hat.
Ich blicke sie an. »Warum sind sie von hier weg?«
»Keiner kann ewig an einem Ort bleiben. Selbst wenn man sich nicht vom Fleck rührt, verändert sich die Welt um einen herum. Manche glauben, hier ist eine Dürre entstanden. Die Hopi sagen, die Hisatsinom haben eine Prophezeiung erfüllt - sie müssen Hunderte von Jahren wandern, ehe sie in die Geisterwelt zurückkehren können.«
Auf dem Pfad, den wir entlanggekommen sind, sehe ich die ersten Touristen wie Feuerameisen. »Hast du dir schon mal überlegt, daß es auch genau anders herum sein könnte?« sagt Ruthann.
»Was meinst du?«
»Na, daß diese ganze Entführungserfahrung vielleicht gar nicht die Geschichte von Delia ist«, erwidert sie. »Daß Verschwinden vielleicht nicht das umwälzendste Ereignis in deinem Leben war.«
»Welches denn sonst?«
Ruthann hebt das Gesicht zur Sonne. »Zurückkommen«, sagt sie.
Das Hopi-Reservat ist eine winzige Blase in dem wesentlich größeren Navajo-Reservat und erstreckt sich über drei langfingrige Mesas bis zu einer Höhe von fast zweitausend Metern über dem Meeresspiegel.
An die zwölftausend Hopi leben in kleinen Dörfern, und eins davon, Sipaulovi, liegt auf der Second Mesa. Wir parken auf einem kleinen Plateau und steigen dann einen Hang hinauf, über Tonscherben und Knochen -ein alter Brauch, erklärt Ruthann mir, aus der Zeit, als
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