Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
glaubte, ich säße auf einer dieser dahinjagenden Sternschnuppen und wäre mit Sicherheit längst verbrannt, ehe ich auf dem Boden aufschlug.
Um neun Uhr am nächsten Morgen nehmen Delia und ich im Bezirksgericht von Wexton nicht weit vom Tisch der Verteidigung Platz. Es ist, als würde ein Film im Zeitraffer abgespielt, immer neue Pflichtverteidiger und Anwälte wärmen den Stuhl an, sobald wieder ein neuer Fall aufgerufen wird. Die Staatsanwaltschaft wühlt in einer großen Kiste mit Akten, während ein Angeklagter nach dem anderen hereingebracht wird. Eine Frau wird beschuldigt, bei Kmart einen Toaster geklaut zu haben, ein Mann wird hereingeführt, der gegen ein Kontaktverbot verstoßen hat, ein weiterer, in dem ich den Betreiber eines Hotdog-Stands in der Stadt wiedererkenne, ist wegen schwerer sexueller Belästigung einer Minderjährigen verhaftet worden.
»Kennst du den Staatsanwalt?« flüstert Delia.
Ned Floritz hat gestern meine AA-Sitzung geleitet, aber trockene Alkoholiker sind stets angehalten, gegenseitig ihr kleines Geheimnis zu bewahren. »Vom Sehen«, sage ich.
Als unser Fall aufgerufen wird, führt man Andrew in einer leuchtendorangeroten Gefängniskluft herein, in Hand- und Fußfesseln.
Delia schnappt nach Luft. Ich stehe auf und knöpfe mein Jackett zu, gehe dann mit meiner Aktentasche zum Tisch der Verteidigung. Andrews Augen huschen durch den Gerichtssaal. »Delia!« ruft er, und sie erhebt sich.
»Sir«, sagt der Gerichtsdiener, »bitte blicken Sie nach vorne.«
Ich spüre, wie mir der Schweiß ausbricht. Das ist mein erster Fall dieser Größenordnung. Und der erste Fall, an dessen Ausgang ich ein persönliches Interesse habe.
Neben mir berührt mich Andrew am Arm. »Die sollen mir die Ketten abnehmen. Ich will nicht, daß sie mich so sieht.«
»Das ist Vorschrift bei Häftlingen im Gerichtssaal«, antworte ich. »Da kann ich leider nichts machen.«
Den Vorsitz hat eine Richterin, die erst seit kurzem im Amt ist. Sie war vorher Pflichtverteidigerin, was für Andrew von Vorteil sein kann, aber sie ist auch Mutter von drei kleinen Kindern. »Die Anklageschrift wirft Ihnen vor, in Arizona eine Kindesentführung begangen und sich dem Arm des Gesetzes durch Flucht entzogen zu haben. Ich sehe, Sie sind in Begleitung eines Anwalts, daher wende ich mich an ihn. Ihnen stehen zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Die erste ist, Sie stimmen einer Auslieferung nach Arizona zu und vertreten Ihren Mandanten dort vor Gericht. Die zweite ist, Sie fechten eine Auslieferung an und beantragen einen von diesem Staat ausgestellten Haftbefehl.«
»Mein Mandant wird die Auslieferung nicht anfechten, Euer Ehren«, sage ich. »Er möchte ein rasches Verfahren.«
Die Richterin nickt. »Dann kommt eine Entlassung aus der Untersuchungshaft gegen Kaution nicht in Frage. Ich gehe davon aus, daß Mr. Hopkins in Gewahrsam bleibt, bis er nach Arizona überstellt werden kann.«
»Verzeihung, Euer Ehren, aber wir beantragen die Festsetzung einer Kaution«, sage ich.
Der Staatsanwalt springt auf. »Völlig ausgeschlossen, Euer Ehren!«
Die Richterin wendet sich an ihn. »Mr. Floritz? Würden Sie etwas präziser werden?«
»Euer Ehren, die zwei wichtigsten Voraussetzungen für eine Freilassung gegen Kaution - Sicherheit für die Allgemeinheit und keine Fluchtgefahr - sehe ich in diesem Fall nicht erfüllt. Die Fluchtgefahr könnte ja wohl kaum größer sein - wie der Angeklagte zur Genüge bewiesen hat.«
»Bewiesen ist noch gar nichts«, werfe ich ein. »Mr. Hopkins ist ein angesehener Bürger der Stadt Wexton. Er hat seit fünf Jahren einen Sitz im dortigen Stadtrat. Er hat das dortige Seniorenzentrum gegründet und ist ein vorbildlicher Vater und Großvater. Der Mann stellt keine Bedrohung für die Gesellschaft dar, Euer Ehren. Ich bitte das Gericht, dies zu berücksichtigen, bevor es eine übereilte Entscheidung fällt.«
Zu spät wird mir der Fehler klar, der mir da unterlaufen ist. Ein Anwalt sollte unter keinen Umständen unterstellen, eine Richterin oder ein Richter könnte eine übereilte Entscheidung treffen.
Die Richterin blickt mich unterkühlt an. »Ich glaube, die mir vorliegenden Informationen in diesem Fall sind durchaus ausreichend für eine korrekte Entscheidung ... so rasch sie auch erfolgen mag, Mr. Tal-cott. Ich setze die Kaution auf eine Million Dollar in bar fest.« Sie läßt den Hammer knallen. »Nächster Fall?«
Die Gerichtsdiener führen Andrew aus dem Saal, ehe er mich fragen kann, was
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