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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wie sehr du dir das auch wünschst.
    Delia steht am Zaun eines Spielplatzes und schaut einer Schar Kindern auf einem Klettergerüst zu, als ich sie finde. »Weißt du, daß ich Schaukeln nicht ausstehen kann?« fragt sie. »Wegen dieses Augenblicks, wenn du zu hoch schaukelst und die Ketten für den Bruchteil einer Sekunde schlaff werden. Ich hatte immer Angst, ich falle runter.«
    Sie sieht einem kleinen Mädchen zu, das sich unter einer Rutsche versteckt. »Du hast mir nicht erzählt, daß mein Vater im Gefängnis ist.«
    »Es wird noch schlimmer werden, ehe es besser wird, Dee.«
    Sie stößt sich vom Zaun ab. »Kann ich jetzt zu ihm?«
    »Nein«, sage ich sanft. »Das geht leider nicht.«
    Sie verliert die Fassung. »Eric, ich weiß nicht mehr, wer ich bin«, sagt sie mit Tränen in den Augen. »Ich weiß nur, daß ich nicht mehr die bin, die ich gestern noch war. Ich weiß nicht, ob ich irgendwo eine Mutter habe. Ich weiß nicht, ob mir als Kind irgendwas Schlimmes angetan wurde, was ich mir nicht mal vorstellen will. Ich weiß nicht, warum er geglaubt hat, es wäre besser für mich, mit mir unterzutauchen. Warum hat er mich all die Jahre belogen? Das hätte er nicht tun müssen, wenn er sicher gewesen wäre, daß ich ihm verzeihe.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich ihm jetzt vertrauen kann. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt je wieder kann. Aber ich ... ich weiß auch nicht, wer mir darauf sonst eine Antwort geben könnte.«
    »Delia -«
    »Niemand stiehlt einfach so ein Kind«, fällt sie mir ins Wort. »Also was ist damals verdammt noch mal Schreckliches passiert, woran ich mich nicht erinnern kann?«
    Ich lege ihr die Hände auf die Schultern. Ich kann förmlich spüren, wie alles in ihr durcheinanderwirbelt. »Das kann ich dir noch nicht sagen«, gebe ich zu, »aber dein Vater auch nicht. Das Gesetz schreibt vor, daß nur ich mit ihm reden darf.«
    Delia hebt das Gesicht und blickt mich finster an. »Dann frag du ihn, was passiert ist.«
    Obwohl es für März ungewöhnlich warm ist, zittert sie. Ich ziehe mein Jackett aus und lege es ihr um die
    Schultern. »Ich darf nicht. Ich bin sein Anwalt«, sage ich. »Genau deshalb wäre es besser, wenn jemand anderes -«
    »Ihn verteidigt?« fragt Delia. »Jemand, der von meinem Vater nur den Namen auf einem Aktenordner kennt? Jemand, den es nicht interessiert, ob mein Vater verurteilt oder freigesprochen wird, weil es für ihn nur ein Job ist?«
    »Delia, er will sich schuldig bekennen«, sage ich beklommen.
    »Was bedeutet das?«
    »Er kommt direkt ins Gefängnis.«
    Delia blickt auf, wie vor den Kopf geschlagen. »Wieso willst du das?«
    »Ich will das doch nicht. Ich hab ihm gesagt, er soll es auf einen Prozeß ankommen lassen, aber das will er nicht.«
    »Und was ich will, zählt überhaupt nicht?«
    Wenn ich in Arizona im Gericht an Andrews Seite stehe, werde ich gefragt, wie wir plädieren, nicht Andrew. Wenn ich »nicht schuldig« sage, mißachte ich damit den Wunsch meines Mandanten. Dann könnte Andrew mich feuern und an einen Anwalt geraten, der mit Vergnügen auf schuldig plädiert, weil es für ihn der Weg des geringsten Widerstandes ist.
    Auf »nicht schuldig« zu plädieren bedeutet hingegen einen langwierigen, schwierigen Prozeß, in dem Delia auf jeden Fall aussagen muß. Als Entführungsopfer ist sie die wichtigste Zeugin und wird von Staatsanwaltschaft und Verteidigung geradezu hofiert werden. Und obwohl ich ihr Verlobter bin, kann ich hinter Gittern landen, wenn ich ihr gegenüber irgend etwas über den Fall ihres Vaters ausplaudere. Es wäre eine Straftat, wenn ich darauf Einfluß nehmen würde, was sie als Zeugin vor Gericht sagt.
    Aber ist es auch eine Straftat, wenn sie darauf Einfluß nimmt, was ich sage?
    Ich streiche ihr über das Haar. »Also gut«, verspreche ich ihr. »Nicht schuldig.«

ANDREW
    Ist es wirklich wichtig, warum ich es getan habe?
    Inzwischen wirst du dir eine Meinung gebildet haben. Du glaubst, ein Mensch ist danach zu beurteilen, was er vor einer halben Ewigkeit getan hat, oder du glaubst, die Vergangenheit eines Menschen hat mit seiner Zukunft nichts zu tun. Du hältst mich entweder für einen Helden oder für einen Unmenschen. Vielleicht denkst du ja anders über mich, wenn du mehr über die Umstände erfährst, aber das ändert nichts an dem, was vor achtundzwanzig Jahren passiert ist.
    Ich habe Alpträume gehabt. Manchmal, wenn ich ans Telefon ging, hörte ich Elise' Stimme in der kurzen Pause,

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