Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Andrew vorübergehend in einer kleinen Zelle untergebracht ist. »Ich muß mit Delia sprechen«, sagt er.
»Im Augenblick ist das nicht möglich.«
»Du verstehst nicht -«
»Ehrlich gesagt, Andrew, als Vater einer vierjährigen Tochter ... tu ich das tatsächlich nicht.«
Wir müssen beide an unser gestriges Gespräch denken, und an sein Geständnis. Andrew wechselt klugerweise das Thema. »Wann fahren wir nach Arizona?«
»Die Entscheidung hegt bei denen. Vielleicht morgen, vielleicht aber auch erst in einem Monat.«
»Und bis dahin?«
»Gewährt der Staat New Hampshire dir eine luxuriöse Unterbringung. Und du kriegst Besuch von mir, damit wir uns gemeinsam eine Strategie für Phoenix überlegen können. Im Augenblick weiß ich noch nicht, was die Staatsanwaltschaft in der Hand hat. Solange bekennst du dich erst mal nicht schuldig, und dann sehen wir weiter.«
»Aber«, sagt Andrew, »was ist, wenn ich mich schuldig bekenne?«
Ich bin überrascht. Ein Mann wie Andrew, der einmal zum Verbrecher wurde, um seine Tochter bei sich zu haben, sollte doch eigentlich den Wunsch haben, auch den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen.
»Wenn du dich schuldig bekennst, Andrew, war's das. Du kannst jederzeit von >nicht schuldig< zu >schul-dig< umschwenken, aber nicht umgekehrt. Und nach achtundzwanzig Jahren ist davon auszugehen, daß die Gegenseite keine ausreichenden Beweise mehr in der Hand hat. Es ist durchaus möglich, daß deren Zeugen längst verstorben sind - die Chancen auf einen Freispruch stehen also nicht schlecht.«
Andrew blickt mich an. »Eric, bist du mein Anwalt?«
Als Andrews Verteidiger bin ich eigentlich völlig ungeeignet. Ich habe weder die Erfahrung noch den nötigen Sachverstand. Und auch nicht das Selbstvertrauen. Aber ich denke an Delia, wie sie mich angefleht hat, als wäre sie davon überzeugt, daß jemand, der einmal ein Versager war, dennoch das Zeug zu einem Helden haben könnte. »Ja«, sage ich.
»Dann mußt du doch machen, was ich sage, oder?«
Ich gebe keine Antwort.
»Ich weiß, was ich vor achtundzwanzig Jahren getan habe, Eric. Ich weiß, was ich jetzt tue.« Er atmet schwer. »Plädiere auf schuldig.«
Ich starre ihn an. »Hast du auch mal darüber nachgedacht, was das für Delia bedeutet?«
Andrew blickt einen langen Moment über meine Schulter auf irgendeinen Punkt in der Ferne. »Ich denke an nichts anderes«, erwidert er.
Einmal, als wir siebzehn waren, hat Delia mich betrogen. Wir hatten uns an einer Biegung vom Connecticut River verabredet, wo wir gern schwimmen gingen -dort im hohen Schilf konnten wir uns küssen, ohne von der Straße aus gesehen zu werden. Ich fuhr mit dem Rad hin, und als ich mit einer halben Stunde Verspätung ankam, hörte ich Delia mit Fitz reden.
Ich konnte sie durch das Gras nicht sehen, aber sie stritten sich darüber, wonach der Schokoriegel O. Henry benannt ist. »Nach Hank Aaron«, sagte Delia mit Nachdruck. »Das haben immer alle Fans gerufen, wenn er einen Home Run erzielt hat.«
»Falsch. Nach dem Schriftsteller«, sagte Fitz.
»Niemand benennt einen Schokoriegel nach einem Schriftsteller. Die haben alle Namen von Baseballspielern. O. Henry, Baby Ruth ...«
»Haha, Delia, du hast ja keine Ahnung!«
Ich hörte ein Kreischen. »Fitz, nicht ... untersteh dich ...« Ein Platschen, als er sie in den Fluß warf und mit hineinfiel. Ich schob mich durch die Schilfwand, um ebenfalls ins kühle Naß zu springen. Doch als ich fast am Ufer war, sah ich, wie Fitz und Delia eng umschlungen im Wasser standen und sich küßten.
Ich weiß nicht, wer von beiden angefangen hatte, aber ich weiß, daß Delia es beendete. Sie stieß Fitz weg, lief aus dem Wasser zu ihrem Handtuch und blieb bibbernd zwei Meter von meinem Versteck entfernt stehen. »Delia«, sagte Fitz und kam auch ans Ufer. »Warte.«
Ich wollte mir nicht anhören, was sie zu ihm sagen würde; ich hatte Angst, es zu hören. Also schlich ich mich lautlos davon und lief zu meinem Rad. Ich fuhr in Rekordzeit nach Hause und verzog mich auf mein Zimmer, wo ich den Rest des Nachmittags auf dem Bett lag und mir vorzumachen versuchte, was ich gesehen hatte, wäre gar nicht geschehen.
Delia hat mir nie gebeichtet, daß sie Fitz geküßt hatte, und ich habe sie auch nie darauf angesprochen. Ich habe es niemandem erzählt. Aber einen Zeuge macht das aus, was er sieht, nicht das, was er sagt. Und nur weil du etwas für dich behältst, heißt das nicht, daß es nie passiert ist, ganz gleich,
Weitere Kostenlose Bücher