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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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erzählt.
    »Nicht weinen«, fleht er.
    Ich wische mir die Augen. »Wieso hast du es mir nicht gesagt?«
    »Du warst noch so klein damals. Und dann, als du älter warst, da war ich zu egoistisch.« Er stockt. »Du hast mich immer angesehen, als wäre ich ein Held. Und ich hab gedacht, ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich nicht mehr so ansehen würdest.«
    Ich beuge mich näher an die Wand zwischen uns. »Dann sag es mir jetzt«, sage ich mit Nachdruck. »Sag mir die Wahrheit.«
    Wir sehen uns in die Augen, schweigen einige Augenblicke. »Wir haben dich Bethany genannt«, sagt er dann. »Du warst so winzig, als du geboren wurdest -kleiner als ein Laib Brot. Ich habe eine Schublade eines Aktenschranks als Bettchen für dich benutzt, wenn ich dich mit zur Arbeit genommen habe.« Er blickt zu mir auf. »Ich war damals Apotheker.«
    Apotheker? Nun, mein Vater wußte immer, welche Dosierung Paracetamol für Sophie bei welchem Gewicht gut verträglich war; aber wieso hat er nicht in New Hampshire eine Apotheke aufgemacht, frage ich mich ... und beantworte mir die Frage dann selbst: weil seine Zulassung unter einem anderen Namen lief, dem Namen eines Mannes, der spurlos verschwunden war.
    Wenn man sich einen anderen Namen gibt, verändert man sich dann auch innerlich? »Wer warst du?«
    »Charles«, sagt er. »Charles Edward Matthews.«
    »Drei Vornamen.«
    Er zuckt zusammen. »Genau das hat deine Mutter auch gesagt, als wir uns kennenlernten.«
    Ich schnappe nach Luft, als er sie erwähnt. »Wie war ihr richtiger Name?«
    »Elise. Das war nicht gelogen.«
    »Nein«, sage ich. »Aber statt mir zu sagen, ihr habt euch scheiden lassen, hast du gesagt, sie wäre tot.«
    Ich spüre einen Zorn in mir aufsteigen, der so stark ist, als würde es sich um eine Substanz handeln, die sich wiegen und messen und verteilen läßt.
    Ich war gekommen, so dachte ich wenigstens, um mich zu vergewissern, daß es meinem Vater gutging, um ihm zu zeigen, daß es auch mir gutging. Ich war gekommen, um ihm zu sagen, daß ich nicht die Kindheit vergessen würde, die er mir geschenkt hatte, ganz gleich, was die Polizei behauptete, ganz gleich, was vor Gericht passieren würde. Doch auf einmal habe ich meine Gewißheit verloren, und die achtundzwanzig Jahre, die ich zu kennen glaubte, wiegen weniger schwer als die vier, die ich nie kennenlernen konnte. »Warum?« frage ich durch zusammengepreßte Zähne. »Warum hast du das getan?«
    Mein Vater schüttelt den Kopf. »Ich wollte nicht, daß dir weh getan wird. Damals nicht, Delia ... und heute nicht -«
    »Nenn mich nicht so!« Der Satz entfährt mir so laut, daß sich eine Frau in der Nachbarkabine zu uns umdreht.
    »Ich hatte keine Wahl.«
    Mein Herz hämmert. »Du hattest eine Wahl. Nicht nur eine. Zu gehen oder nicht zu gehen. Mich mitzunehmen oder nicht. Mir die Wahrheit zu sagen, als ich fünf war oder zehn oder zwanzig. Ich war es, die keine Wahl hatte, Dad.«
    Ich stürme aus dem Besucherraum, damit er spürt, wie es ist, zurückgelassen zu werden.
    Als ich zurück zum rosa Trailer komme, schlafen alle. Sophie liegt auf der Couch, an Greta gekuschelt, die ein Auge öffnet und mit dem Schwanz klopft, als sie mich sieht. Ich knie mich hin und berühre Sophies Stirn. Sie schwitzt. Ich streiche ihr das Haar aus dem Gesichtchen und betrachte sie eine Weile.
    Starke Hände gleiten unter mein T-Shirt, und ich drehe mich zu Eric um, der noch ganz warm ist vom Schlaf. Er zieht mich in das Schlafzimmer am Ende des Trailers und schließt die Tür. »Warst du bei ihm?« flüstert er.
    Ich nicke. »Und?«
    »Ich mußte durch eine Glasscheibe mit ihm sprechen ... und er trägt eine schwarzweiß gestreifte Kluft, wie ein ... wie ein ...«
    »Schwerverbrecher?« sagt Eric sanft, und schon breche ich wieder in Tränen aus. Er schlingt die Arme um mich, drückt mich sachte aufs Bett.
    »Er ist meinetwegen da drin«, sage ich. »Und ich weiß gar nicht mehr genau, wer ich bin.«
    Erics Körper streckt sich hinter meinem aus, ein Bein schiebt sich warm zwischen meine. Er schmiegt sich an mich wie schützender Nebel, fährt mit der Hand an meiner Seite entlang. »Ich aber«, sagt er.
    In meinem Traum habe ich mich versteckt. Der Küchenboden glitzert. Er ist mit Glasscherben bedeckt. Es liegen auch zerbrochene Teller auf dem Boden. Die Schranktüren stehen weit auf, es ist kein Geschirr mehr drin.
    Ich höre Gebrüll, obwohl ich die Hände fest auf meine Ohren drücke. Es klingt wie im Innern einer
    Trommel,

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