Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
wie der Drachen, der in Wirklichkeit mein Atem ist, wie der harte Knoten Tränen in meiner Kehle, der mir das Schlucken unmöglich macht.
Als erstes merke ich, wie unter meiner Bettdecke die Sonne aufgeht. Dann folgt das Atmen, schwer und naß wie Sand auf dem Grund des Meeres. Ich setze mich abrupt auf und schlage die Decke zurück: Sophie liegt da, ganz klein zusammengerollt, und glüht vor Fieber.
Ich rufe nach Eric, aber er ist schon weg. Er hat mir einen Zettel mit der Nummer der Kanzlei seines Freundes auf ein Kissen gelegt. Ich kann förmlich hören, wie das Blut meiner Tochter brodelt. Ich durchwühle mein Gepäck nach einem Thermometer oder Aspirin oder irgend etwas, das helfen könnte, und als ich nichts finde, trage ich sie in das rosa Bad und stelle mich mit ihr in den Armen unter die lauwarme Dusche.
Sophie dreht mir das gerötete Gesicht zu, die Augen blicklos und blau. »Im Klo ist ein Monster«, sagt sie.
Ich schaue in die Kloschüssel, wo eine kleine, dunkle Feder schwimmt. Ich betätige die Spülung, zweimal. »So«, sage ich. »Weg.« Doch da fällt Sophies Kopf schlaff nach hinten. Sie ist ohnmächtig geworden.
Im Bad sind keine Handtücher. Ich wickele Sophie in das Hemd, das Eric gestern anhatte. Ihre Zähne klappern, ihre Stirn ist glutheiß. Sie wimmert, als ich sie fest einwickele, dann haste ich nach draußen.
Es ist erst acht Uhr morgens, aber ich trete gegen die Tür von Ruthann Masäwistiwa, Sophie in meinen Armen. »Bitte«, flehe ich, als sie öffnet. »Ich muß ins nächste Krankenhaus.«
Sie wirft einen Blick auf Sophie. »Kommen Sie mit«, sagt sie, doch statt zu meinem Wagen zu gehen, verschwindet sie in unserem Trailer. Sie beugt sich aus dem Fenster, das ich die Nacht über offengelassen habe, damit frische Luft hereinkommt, und das sich direkt über der Couch befindet, auf der Sophie geschlafen hat. Ruthann fährt mit ihren knotigen Händen außen am Rahmen entlang. »Ich hab's«, sagt sie und pflückt von der Fensterbank eine braune Feder, die genauso aussieht wie die, die ich im Klo runtergespült habe.
Ruthann hält die Feder nach draußen. Als sie sie losläßt, wird sie von einem Windhauch hochgehoben und fortgetragen. »Pahos«, sagt sie, und dann zeigt sie auf den Palo-Verde-Baum in ihrem Garten vor dem Haus, nur wenige Meter von dem offenen Fenster entfernt, an dessen Zweigen unzählige Federn festgebunden sind. »Das sind Gebetsfedern. Die sollen all das Schlechte des letzten Jahres festhalten. Und wenn sie im Winter davonfliegen, nehmen sie das Böse mit. Ich häng sie oben in dem Baum auf, damit niemand vergiftet wird, wenn er in die Nähe kommt, aber eins hat sich wohl gelöst und ist Ihrem kleinen Mädchen zu nahe gekommen.«
Ich blinzele sie ungläubig an. »Sie wollen mir weismachen, meine Tochter ist von einer ... einer Hühnerfeder krank geworden?«
»Es ist eine Truthahnfeder«, sagt Ruthann. »Und warum sollte ich Ihnen etwas weismachen wollen?« Sie fühlt Sophies Stirn. Dann bedeutet sie mir, es ebenfalls zu tun.
Sophies Stirn fühlt sich kühl an, das Feuer in ihren Wangen ist erloschen. Sie schläft friedlich, eine Hand an meiner Brust.
Ich schlucke schwer, lege sie behutsam aufs Bett. »Ich fahre trotzdem mit ihr zu einem Arzt.«
»Natürlich tun Sie das«, sagt Ruthann.
Zwei Kinderärzte, eine Neurologin und drei Blutuntersuchungen später wird Sophie für gesünder als ein Mustang erklärt, was immer das auch heißen mag. Die Neurologin, die die Haare zu einem so straffen Knoten gebunden hat, daß ihre Augenwinkel leicht nach hinten gezogen werden, führt mich außer Hörweite von Sophie. »Gibt es vielleicht Probleme bei Ihnen zu Hause?« fragt sie. »Kinder in dem Alter machen so etwas schon mal, um Zuwendung zu bekommen.«
Aber das waren keine einfachen Hals- oder Bauchschmerzen. Fieber kann man nicht vortäuschen. »Sophie ist nicht so«, erkläre ich brüskiert. »Ich kenne meine Tochter.«
Die Ärztin zuckt mit den Schultern, als hätte sie das nicht zum ersten Mal gehört.
Ich fahre ganz vorsichtig zurück, folge Ruthanns Wegbeschreibung in umgekehrter Richtung. Auf dem Rücksitz spielt Sophie mit den Stickern, die eine Krankenschwester ihr geschenkt hat. Auf der ganzen Fahrt bin ich unsicher: Ist das die richtige Abfahrt? Darf man in Arizona bei Rot rechts abbiegen? Hab ich mir die Episode heute morgen bloß eingebildet? Vielleicht sind falsche Entscheidungen ansteckend. Vielleicht glaube ich nur, die Welt zu kennen, in der ich
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