Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
stimmt. Der Deputy zieht mich durch die Menge. »Viel Spaß«, sagt er, als er mich in die Obhut der County-Haftanstalt übergibt.
Die Lärmkulisse im Hufeisen ist gewaltig: Aufseher brüllen einander an oder in die Mikros an ihren Schultern; Türen werden zugeknallt oder verriegelt; Betrunkene grölen irgendwelchen Freunden etwas zu, die sie im Delirium herbeihalluzinieren. Und dann ist da noch das stetige Quietschen der Schuhe eines Häftlings, der den Boden wischt, das Summen eines Ventilators; das
Klirren von Ketten, als eine Reihe von Männern über den Gang schlurft. »Gratuliere«, sagt der Aufseher zu mir. »Sie sind der zweihundertste Kunde heute.«
Es ist erst ein Uhr mittags.
»Damit haben Sie einen Preis gewonnen. Eine komplette Leibesvisitation statt einfaches Abklopfen.« Er führt mich durch eine Tür links von einer an die Wand geschraubten Metallplatte und fordert mich auf, mich auszuziehen. Ich drehe ihm den Rücken zu, mehr Privatsphäre ist mir nicht vergönnt. Durch das Fenster sehe ich eine Aufseherin, die geistesabwesend zuschaut.
Ich versetze mich in Gedanken an einen anderen Ort, als der Aufseher mir sagt, ich soll den Mund öffnen, die Arme heben, mich nach vorn beugen und die Beine spreizen. Ins Zentrum des Himmels, auf den weichen lehmigen Boden eines Sommersees. Als er sagt, ich soll mich aufrichten und meinen Hodensack anheben, spüre ich nicht einmal mehr, daß ich seine Anweisungen ausführe. Es sind die Hände eines anderen, die Befehle eines anderen, das erbärmliche Leben eines anderen.
»Gut«, sagt er. »Ziehen Sie sich wieder an.« Er öffnet ein Stück weiter den Gang hinunter eine Tür mit einer »3« darauf. Die Zelle ist halb voll. »He, Kumpel«, sagt einer der Männer da drin zu dem Aufseher. »Kann mal einer die Schweinerei wegmachen?« Er deutet unter das Münztelefon an der Wand, wo ein Mann mit dem Gesicht nach unten in einer Lache Erbrochenem liegt.
»Klar, wird sofort erledigt«, sagt der Aufseher mit einem Unterton, der verrät, daß das ganz unten auf seiner Dringlichkeitsliste steht.
Männer sitzen auf einer Bank entlang einer Wand, Männer liegen auf dem Boden, und ein Junge singt irgendeinen monotonen Abzählreim wieder und wieder. »Schnauze«, sagt ein Schwarzer und wirft eine Orange nach dem Jungen.
Es gibt zwar ein Münztelefon, doch ich frage mich, wie wir es benutzen sollen, wo uns doch unsere ganzen Sachen samt Bargeld abgenommen wurden. Ein mexikanischer Teenager mit einer tätowierten Träne unter dem Auge sieht, wohin ich schaue. »Vergiß es, Opa«, sagt er. »Dafür nehmen die fünf Dollar die Minute.«
»Danke für die Warnung.« Ich mache einen Schritt über den bewußtlosen Betrunkenen hinweg und greife nach dem Telefon. In den Hörer ist ein Wort gekratzt: WARUM. Eine berechtigte Frage.
Ich nenne der Vermittlung meine Privatnummer für ein R-Gespräch, aber du bist nicht da.
Die Tür öffnet sich erneut und eine Aufseherin schreit eine Reihe von Namen: »DEJESUS! ROB1NET! VALENTE! HOPKINS!« Wir marschieren zur Tür, wir Glückspilze. Einzeln werden wir zu einer Theke gebracht, wo wir ein Formular unterschreiben müssen, auf dem sämtliche Dinge aufgelistet sind, die wir bei der Einlieferung bei uns hatten. Dann muß ich auf der Rückseite von zwei farbigen Karten einen Daumenabdruck abgeben. Daneben ist eine freie Stelle und mir wird klar, wofür: für einen weiteren Abdruck am Tag meiner Entlassung. Nachdem drei Monate oder acht Monate oder zehn Jahre in diesem System aus mir einen anderen Menschen gemacht haben, soll sichergestellt werden, daß auch der richtige Mann entlassen wird.
Eine junge Frau mit Haaren, die nach Herbst riechen, ist für die Abnahme unserer Fingerabdrücke zuständig. Die Abdrücke werden von einem Computer erfaßt und automatisch an die Datenbank des FBI und des Staates Arizona geschickt. Dort werden sie mit anderen Daten abgeglichen, um festzustellen, ob man schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.
In Sophies Kindergarten fand neulich ein sogenannter Sicherheitstag statt. Für jedes Kind wurde ein Sicherheitspaß mit Foto gemacht, und die Polizei kam und nahm von allen Mädchen und Jungen die Fingerabdrücke, damit die erforderlichen Daten vorliegen, falls eines der Kinder mal entführt wird.
Ich half an dem Tag aus. Neben mir saß ein Officer von der Wextoner Polizei. Beide drückten wir die Kuppen dieser winzigen Kinderfinger auf das Tintenkissen und rollten sie auf einer Karteikarte ab.
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