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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ich, wie Maria sich entspannte. Als hätte sie recht bekommen.
    Wahrhaftig, ich habe schon viel erlebt: zarte Jungen mit Feengesichtern, die weglaufen, weil sie von bulligen Mitschülern schikaniert werden; Teenager, die auf Wassertürme steigen, um dem Himmel näher zu sein, wenn sie sterben; spindeldürre Mädchen, die sich nachts vor dem Freund ihrer Mutter verstecken. Doch meine Aufgabe ist es, sie nach Hause zu bringen, nicht die Motive zu beurteilen, weshalb sie weggelaufen sind. Daher brachte ich Maria Damato zurück in die Obhut ihres dankbaren Vaters. Ich tat, was von mir erwartet wurde.
    Einen Monat später rief mich der für den Fall zuständige Detective an und teilte mir mit, daß Maria ihren Vater erschossen und sich danach selbst umgebracht hatte. Ich gab Greta an dem Tag eine Extraportion Hundefutter, weil sie mehr verstanden hatte als irgendein Mensch.
    Die Rückseite des Trailerparks grenzt an ein trockenes, staubiges Feld, und dorthin geht Eric mit mir, um den fuchsienroten Sonnenuntergang zu sehen.
    Eric trägt noch immer seinen Anzug, aber er hat die Krawatte gelockert. Wir sehen zu, wie der Himmel sich in allen Aquarellschattierungen von Orange und Lila verfärbt, ein Gemälde, das zu schön ist, um wahr zu sein, während Sophie ein Stück entfernt einen Tennisball wirft, dem Greta hinterherjagt. Eine Weile sehen wir beide Richtung Horizont.
    »Fitz hat gesagt, du hattest einen lausigen Tag«, beginnt Eric schließlich
    »Deinetwegen hab ich die Anklageeröffnung verpaßt«, sage ich.
    »Das war nicht meine Schuld. Nicht mal ich wurde über den Termin informiert.« Er schlingt einen Arm um meine Taille. »Erzähl mir von deiner Mutter.«
    Ich beobachte einen Habicht, der in großer Höhe kreist. »Sie ist Alkoholikerin«, sage ich nach einer Weile.
    Er erstarrt, was mir verrät, daß er noch nichts davon wußte. »Schon damals?« fragt er.
    »Ja.« Ich schaue ihn an. »Meinst du, ich hab mich deshalb in dich verliebt?«
    »Meine Güte, ich hoffe nicht«, erwidert Eric lachend.
    »Es ist mein Ernst. Was, wenn ein Teil von mir sie nicht davon abbringen konnte, so daß ich dich davon abbringen mußte?«
    Eric faßt mich an den Schultern. »Du konntest dich nicht mal an sie erinnern, Dee.«
    Das stimmt. Aber konnte ich es nicht oder wollte ich es nicht? Erinnerungen sind einem nicht ständig zugänglich. Sie sind etwas, das nach Bedarf abgerufen oder heraufbeschworen wird. Erinnerungen werden in eine Manege geführt, damit wir sie interessiert betrachten können. Daher können sie mitunter auch verlorengehen.
    Oder doch nicht? Wenn ich mich früher darüber beschwert habe, daß Eric trank, hat er gesagt, ich würde übertreiben. Ein Bier, und ich konnte den Geruch in seinem Atem nicht ertragen. Jetzt frage ich mich, ob das eine Erinnerung war, irgendein unbewußtes Wissen, daß jemand, der nach Alkohol roch, mich zwangsläufig enttäuschen würde.
    »Ich war heute auch bei meinem Vater«, sage ich.
    »Wie ist es gelaufen?«
    »Auf einer Skala von eins bis zehn?« Ich blicke ihn an. »Minus vier.«
    »Na, vielleicht war der Tag ja doch nicht ganz so lausig. Könnte sein, daß du mir soeben eine Möglichkeit geliefert hast, meine Verteidigungsstrategie auf mildernde Umstände aufzubauen.«
    »Wieso?«
    »Wenn dein Vater einen triftigen Grund hatte, dich von deiner Mutter wegzubringen - zum Beispiel, weil sie als Alkoholikern für dich ein Risiko darstellte - und er sich hilfesuchend an die Behörden gewandt hat, aber kein Gehör fand, könnte ich ihn vielleicht raushauen.«
    »Meinst du, das funktioniert?«
    »Immer noch besser als jede andere Strategie, für die ich mich bisher hätte entscheiden können«, sagt Eric.
    Neben mir wirft Eric Gretas Tennisball weit über das niedrige Buschwerk auf dem Feld. In der zunehmenden Dunkelheit sehe ich sein Gesicht verschwommen. Er könnte irgendwer sein, genau wie ich auch.

ELISE
    Du erinnerst dich vielleicht nicht daran, aber ich habe dir einmal von dem Augenblick erzählt, als meine Mutter starb. Ich war sechzehn und zu der Zeit sehr weit von ihr entfernt - sie besuchte ihre Schwester in Texas -, aber um Mitternacht schreckte ich aus dem Schlaf, und da saß sie bei mir auf der Bettkante und berührte mit der Hand mein Gesicht. »Mami?« flüsterte ich, und sie verschwand wieder, hinterließ nur einen Tuberosengeruch, der so stark war, daß ich ihn in all den Jahren, die seitdem vergangen sind, nicht von meiner Haut waschen konnte.
    Am nächsten Morgen rief

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