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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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mich meine Tante an und erzählte mir unter Tränen von dem Autounfall, der sich genau in dem Moment ereignet hatte, als ich in der Nacht zuvor aufgewacht war. Als ich vom Besuch meiner Mutter an meinem Bett erzählte, war sie genauso wenig überrascht wie ich. Du kannst jede fromme Mexikanerin fragen, sie wird dir sagen, was die brujas wissen: Die Toten kommen zurück, um ihre Schritte einzusammeln.
    Im Laufe der Jahre hatte ich manchmal das Gefühl, daß du hinter mir stehst. Ich war sicher, deine Hand an meiner zu spüren. Und wenn ich den Wasserhahn der Badewanne aufdrehte, hörte ich dich auf der anderen Seite der Tür lachen.
    Jedesmal tat ich so, als wäre nichts. Ich schloß die Augen fester oder drehte das Wasser weiter auf oder stellte das Radio lauter. Ich wollte mir nicht eingeste hen, daß ich dich vielleicht nur ein einziges letztes Mal wiedersehen könnte, nämlich dann, wenn du zurückkämst, um deine Schritte einzusammeln, wie einen Armvoll leuchtender Wüstenblumen, die du mir zum Trost überreichen würdest, weil ich dich für immer verloren hätte.
    Am 9. Dezember 1531 erschien die Heilige Jungfrau Maria einem Indio namens Juan Diego. Ein Teppich aus Rosen, die mitten im Winter blühten, und eine Madonna mit dunkelhäutigem Antlitz, das sich auf Juan Diegos Mantel abmalte, genügten dem Bischof als Beweis, zu Ehren der Jungfrau von Guadalupe eine Kapelle zu errichten.
    Manche behaupten, La Guadalupana ist Tonantzin, eine aztekische Göttin, die es schon lange gab, ehe Juan Diego des Weges kam. Da die spanischen Missionare wußten, wie groß ihre Anhängerschaft war, machten sie sie durch die Taufe als Jungfrau von Guadalupe zur Christin. Sie wußten jedoch nicht, daß die Göttin Tonantzin durch geheime Rituale - die brujeria -, die ihre Priesterinnen durchführten, von Sünden befreien konnte. Im Grunde ermöglichten es die Missionare den katholischen Indios, zur heiligen Messe zu gehen und gleichzeitig eine Hexe zu besuchen.
    Meine Mutter war eine bruja, und als Kind war es für mich ein alltäglicher Anblick, wenn ihre Kunden mit allen möglichen Zauberwünschen zu ihr kamen -um gesunde Babys zu schützen, um ein neues Haus zu segnen, um zu verhindern, daß ein Sohn zum Militär mußte. Wenn sie für La Guadalupana eine rote Kerze anzündete und ein Ave-Maria sprach, schrumpfte Dona Taranos Lebertumor wie durch ein Wunder.
    Wenn sie zur heiligen Catalina de Alejandria betete, erhielt eine Familie, die von Schulden erdrückt wurde, einen unverhofften Geldsegen. Natürlich sind brujas auch Spezialistinnen in Fragen der Gerechtigkeit, wenn jemandem Unrecht geschehen ist. Ein Fluch von einer bruja könnte einen Mann bestrafen, der seine Frau betrügt, oder jemandem, der ein Gerücht verbreitet hat, einen unangenehmen Hautausschlag bescheren. Wer das Opfer eines bruja- Fluchs geworden ist, weiß, daß er die Strafe verdient hat. Eine Hexe knöpft sich nur die Schuldigen vor.
    Meine Mutter brachte mir bei, einen Altar herzurichten und ein cuchillo auszuwählen und los naipes, die Karten, zu lesen, um etwas über mein Leben zu erfahren. Doch da war ich noch jünger und habe nur für mich selbst Zauber gewirkt. Ich hätte nie damit gerechnet, hier in Phoenix einmal eine bruja zu werden, doch in der mexikanischen Gemeinde spricht sich so etwas schnell herum, und die Leute brauchen schließlich hin und wieder eine gute Hexe. Ich stellte auch fest, daß die Magie mir so viel Konzentration abverlangte, daß ich während dieser wenigen Minuten aufhörte, mir die Schuld dafür zu geben, dich verloren zu haben.
    Am Tag nachdem du bei mir warst - ein wundervoller Besuch, dann ein furchtbarer - kann ich mich kaum auf die Kundin konzentrieren, die bei mir in meinem santuario ist. »Dona Vasquez«, fragt Josephina, »haben Sie gehört, was ich gerade gesagt habe?«
    Ich hätte dir gestern gern gesagt: Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich damals war, genau wie du. Ich habe achtundzwanzig Jahre auf dich gewartet. Ich kann noch eine Weile länger warten.
    Bitte komm zurück.
    »Der Zauber wirkt nicht«, seufzt Josephina.
    Ich soll ihrer Mitbewohnerin, mit der sie an der State University studiert, eine Lektion erteilen, weil sie die Lüge verbreitet hat, Josephina hätte Affären, woraufhin ihr Freund mit ihr Schluß gemacht hat. Ich schlug zur Strafe la lengua ardiente vor - die brennende Zunge. »Haben Sie das mit der Kerze gemacht?«
    Ich hatte Josephina nach ihrem letzten Besuch bei mir schwarzes Wachs in Form

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