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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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rausgestellt, daß das doch kein Spiel ist, Soph. Grandpa hat vor langer Zeit einen großen Fehler gemacht, und damit hat er einigen Leuten sehr weh getan. Und deshalb muß er ... bleibt er ...« Ich versuche es, aber die Worte wollen mir nicht über die Lippen kommen.
    Fitz kniet sich vor uns hin. »Weißt du noch, wie du Stubenarrest bekommen hast, weil du im Wohnzimmer mit dem Tennisball rumgespielt hast und die Fensterscheibe zu Bruch gegangen ist?« Sophie nickt. »Dein Großvater muß für eine Weile in ein Haus, in das Erwachsene zur Strafe hinkommen.«
    Sophie blickt mich an. »Hat er eine Scheibe kaputtgemacht?«
    Nein, denke ich. Nur mein Herz gebrochen.
    »Er hat gegen das Gesetz verstoßen«, sagt Fitz. »Deshalb muß er so lange im Gefängnis bleiben, bis ein Richter sagt, er kann gehen.«
    Sophie denkt darüber nach. »Böse Menschen kommen ins Gefängnis. Sie tragen Handschellen.«
    »Er trägt keine Handschellen, und er ist kein böser Mensch«, sage ich zu ihr.
    »Was hat er denn getan?«
    »Er hat ein kleines Mädchen von zu Hause weggebracht«, sage ich.
    »Hat ihre Mutter ihr denn nicht gesagt, sie soll nicht mit Fremden reden?«
    Wie soll ich Sophie erklären, daß es nicht immer Fremde sind, die uns Schaden zufügen können? »Das ist vor langer Zeit passiert«, erkläre ich. »Und das kleine Mädchen war ich.«
    »Aber da war er doch auch schon dein Daddy, nicht?« Sophie schüttelt den Kopf. »Daddys dürfen ihre Kinder doch mitnehmen.«
    Ich habe das Gefühl, meine Kehle schließt sich wie eine Faust. »Ich konnte meine Mutter nicht wiedersehen, viele Jahre nicht - und ich habe sie ganz doli vermißt.«
    »Wieso hast du ihm nicht gesagt, du willst wieder nach Hause?«
    Die Sache ist so kompliziert, ich kann Sophie nicht erklären, daß Lügen im Spiel waren und falsche Namen. Daß Menschen, die du liebst, für gewöhnlich nicht von den Toten auferstehen. Daß ich meinem Vater nicht sagen konnte, ich will nach Hause, weil ich nicht wußte, daß ich vermißt wurde.
    Aber jetzt weiß ich es.
    Während meiner nächsten Fahrt zur Haftanstalt Madison Street frage ich mich, ob Sophie sich, wenn sie älter ist, an diese Reise nach Phoenix erinnern wird. Ob sie sich dann noch einen stacheligen Feigenkaktus vorstellen kann. Ob sie noch eine Erinnerung an ihren Großvater haben wird, ehe er ins Gefängnis kam.
    Die Wahrheit ist, sie wird es nicht müssen.
    Denn das ist meine Aufgabe. Was sind Eltern denn anderes als Menschen, die all das aufsammeln, was ein Kind liegenläßt -, ausgezogene Kleidungsstücke, verwaiste Schuhe, kleine bunte Plastikspielsteine und wehmütige Erinnerungen - und es Stück für Stück zurückgeben, wenn es benötigt wird? Was sind Eltern anderes als Menschen, denen du vertrauensvoll glaubst, daß sie gut auf dich achten und dir die Wahrheit sagen?
    Ich schreite in der kleinen Besucherkabine auf und ab, als mein Vater hereingebracht wird. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, daher konzentriere ich mich auf die Wunde in seinem Gesicht. Sie sieht aus wie ein Angelhaken, der sich seitlich an der Wange nach unten krümmt. »Wer war das?« frage ich und muß schlucken.
    »Ist halb so schlimm.« Er berührt vorsichtig sein Gesicht. »Ich hab nicht gedacht, daß du so bald noch einmal kommst.«
    »Ich auch nicht«, sage ich. »Tut mir leid, daß ich bei der Anklageeröffnung nicht dabei war.«
    Mein Vater zuckt mit den Schultern. »Es wird noch mehr Gelegenheiten geben«, sagt er. »Stimmt es, was Eric sagt? Du wolltest, daß ich mich nicht schuldig bekenne?«
    »Ich liebe dich«, sage ich, und mir kommen die Tränen. »Ich will, daß du alles tust, um da rauszukommen.«
    Er beugt sich näher an die Scheibe zwischen uns. »Genau deshalb mußte ich damals mit dir weg, Dee.«
    »Weißt du, ich könnte dir das fast glauben. Nur hab ich heute meine Mutter besucht.«
    Ich sehe, wie er weiß im Gesicht wird. »Wie geht's ihr?«
    »Na ja, sie ist praktisch eine Fremde«, sage ich.
    Er drückt seine Hand an die Scheibe. »Delia -«
    »Meinst du nicht Bethany?«
    Der Schock quetscht sich durch die Telefonleitung zwischen uns, ein statisches Schweigen. »Hattest du wirklich so ein schlimmes Leben?« fragt mein Vater gepreßt.
    »Ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung, wie es gewesen wäre, wenn ich bei meiner Mutter groß geworden wäre.« Als er nicht antwortet, rede ich weiter. »Stell dir vor, sie hat meine Schmusedecke aufbewahrt. Die sie aus all den Flicken gemacht hat, weißt du

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