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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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einsetzen wollte, nein, was mir weiche Knie machte, war, daß er glaubte, ich sei es wert, gerettet zu werden.
    Ich gehörte zu jener geisterhaften Schar von Mexikoamerikanern, die im Leben anderer Leute unauffällig im Hintergrund agierten - als Zimmermädchen und Hilfskellner und Gärtner. Ich war nur deshalb hinter der Theke dieser Bar gelandet, weil ich keine gerade Naht nähen konnte, weshalb ein Akkordjob als Näherin für mich nicht in Frage kam. Außerdem mochte ich die Arbeit in der Bar. Der Hefegeruch, der aus dem Auffangbecken unter dem Zapfhahn aufstieg, ließ mich an Gegenden denken, in denen Weizen wuchs, Gegenden, in denen ich nie gewesen war. Jedes Mal, wenn ein Gast aufstand und zur Tür hinausging, ging ein kleines Stück von mir mit ihm. Ich dachte, auf diese Weise würde ich früher oder später ganz verschwinden.
    Ich spendierte deinem Vater einen Drink, als Dank für seinen Rettungsversuch. Ich glaube nicht, daß ihm meine zitternden Hände auffielen, als ich Bier auf der Theke verschüttete. Charlie deutete auf meine Jeans, die ich mit Versen von meinen Lieblingsgedichten vollgekritzelt hatte. »Lieber von einem einzigen Vogel singen lernen«, las er laut, doch der Rest des Zitats von e. e. cummings war unter meinem Oberschenkel versteckt.
    »Als zehntausend Sterne lehren, nicht zu tanzen«, beendete ich den Satz.
    »Wieso steht das auf deinem Bein?«
    »Weil«, sagte ich, »auf meiner Jacke kein Platz mehr war.«
    »Dann studierst du wohl Literatur.«
    »Literaturstudenten rauchen Nelkenzigaretten und sagen Dinge wie Dekonstruktion und Onomatopöie, nur um zu hören, wie es aus ihrem Mund klingt.«
    Er lachte.
    Mit Männern kannte ich mich aus. Meine Mutter hatte mir beigebracht, die Sätze zu deuten, die sie nicht aussprachen, und ein rotes Bändchen am Handgelenk zu tragen, um diejenigen abzuhalten, die in einer Frau nur eine Zwischenstation sahen und nicht das Ziel. Wenn die Haut eines Mannes einen Bittermandelgeruch verströmte, wußte ich, daß er bereits eine Partnerin betrogen hatte. Aber die Männer, die ich kannte, waren wie ich - Jungs, die nur auf spanisch geträumt hatten, Jungs, die daran glaubten, daß es einem ein bißchen Glück bescherte, wenn man eine rote Kerze anzündete, Jungs, die wußten, daß ein Mann, der schlecht über seine Freundin sprach, am nächsten Morgen das Pech haben konnte, daß seine Zunge am Gaumen festklebte. Männer wie Charlie dagegen besuchten Universitäten und kämpften mit mathematischen Lehrsätzen und vermischten Chemikalien, aus denen dann hübsche Wolken aus unsichtbarem Gas aufstiegen. Männer wie Charlie waren nicht für Frauen wie mich bestimmt.
    »Wenn du nicht Literatur studierst«, fragte er, »was machst du dann?«
    Ich blickte ihn an, als wäre er verrückt - er brauchte sich doch bloß umzusehen. Glaubte er denn, ich wäre hier, weil mir die Aussicht gefiel? Aber er sollte auch wissen, daß mich nicht bloß dieser Job ausmachte. Er sollte glauben, daß ich geheimnisvoll und besonders war, alles andere als der Mensch, der ich in Wirklichkeit war: eine junge Mexikanerin, die nicht in derselben Welt lebte wie er. Also holte ich unter der Theke meine Karten hervor. »Ich lege los naipes.«
    »Tarot?« sagte er. »Daran glaube ich nicht.«
    »Dann hast du ja auch nichts zu verlieren.« Ich öffnete das Holzkästchen, in dem ich meine Karten aufbewahrte, und nahm sie heraus, wie immer mit der linken Hand. Dann sprach ich ein Ave-Maria und sah ihn an. »Willst du nicht wissen, ob dein Wunsch erfüllt wird?«
    »Welcher Wunsch?«
    »Das«, erwiderte ich, »liegt ganz bei dir.«
    Er lächelte so langsam, daß ich die Augen niederschlagen mußte. »Also schön. Erzähl mir was über meine Zukunft.«
    Ich ließ ihn den Packen dreimal abheben, für die Heilige Dreifaltigkeit, und mir dann die Karten zurückgeben. Dann legte ich neun Karten aus: vier für die Enden des Kreuzes, Nummer fünf und sechs rechts und links unter die Querbalken, die siebte an den Stamm, die achte schräg darunter und die letzte genau in die Mitte. »Die erste Karte«, sagte ich und drehte sie um, »zeigt deine Gemütsverfassung.« Es waren die Sieben Stäbe.
    »Gott, ich hoffe, das bedeutet Geld. Zumal der Motor von meinem Wagen sich gar nicht gut anhört.«
    »Das ist eine Botschaft«, erwiderte ich. »Sie besagt, daß die Wahrheit nicht für alle Zeit verborgen bleiben kann. Die nächsten drei Karten verraten dir, wer dir helfen wird, die Wahrheit zu enthüllen.«
    Ich

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