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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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unsichtbaren Objekt nach vorn getragen wurde, und als er den Kopf neigte, sah er den dünnen, blutigen Metalldorn, der aus seiner Hüfte ragte. Ungläubiges Entsetzen wurde gefolgt von Todesangst. Dann setzte der Schmerz ein, und sein Atem ging auf einmal stoßweise. Er vernahm ein leises Zischen - der Raumanzug! - und wollte sich von
dem Dorn losmachen, schaffte es aber nicht … er konnte sich nicht mehr bewegen.
    »Horst! - Überlebe-Anomalie-bei-Horst …«
    Die Stimme der Drohne tönte aus einem langen Tunnel hervor. Sein Gesichtsfeld verdunkelte sich von den Rändern, und ihm kam der Gedanke, dass die Dyn ihn wiederbeleben würden, wenn er sterben sollte … vielleicht ebenfalls als kahlköpfigen, wahnsinnigen Piraten …
    Eine grauenhafte Taubheit breitete sich in seinem Kopf aus, und mit dem Gedanken an seine letzte Begegnung mit Rosa stürzte er in eine wogende Dunkelheit.

16 Kao Chih
    Baltazar Silveiras kleines, schlankes Raumschiff hieß Oculus Nocti . Der Wohnbereich, eindeutig für eine Ein-Mann-Besatzung gedacht, verwandelte sich in einen klaustrophobischen Hinderniskurs, als zwei Menschen und ein Voth sich hineinzwängten. Silveira aber machten die Unannehmlichkeiten anscheinend nichts aus. Während des zweieinhalbtägigen Fluges zur Heimatwelt der Roug behielt er seine Liebenswürdigkeit unverändert bei, auch dann, wenn es wegen der Ausscheidungsprodukte und der unterschiedlichen Darmflora der verschiedenen Spezies zu Streitereien kam. Anstatt sich an dem Austausch von Beleidigungen zu beteiligen, lächelte er nur versonnen, während Kao Chih bisweilen so verärgert und wütend war, dass er lieber den Mund hielt.
    Nach Yashs Berechnung waren seit dem Aufbruch von Darien sechsundfünfzig Stunden und einunddreißig Minuten verstrichen, als die Oculus Noctis am Rande des Busrulsystems, der Heimat der geheimnisvollen Roug, aus dem Hyperraum fiel. Die Umgebungsdarstellung zeigte die hellrote Zwergsonne Busrul, gehüllt in die charakteristischen Schleier und Wirbel der Staubwolken der Tiefenzone. Der Gasriese V’Hrant war als blassgrauer Flecken sichtbar. Fünfunddreißig Minuten und zwei Mikrosprünge später hatten sie den Randbereich des Sternsystems erreicht. Silveira verkündete nach einem Blick auf die Monitore:
    »Es gibt ein kleines Problem.«

    »›Klein‹ wie sülzmäßig groß«, erkundigte Yash sich aus seiner Schlafkoje hervor, »oder ›klein‹ wie unwichtig?«
    »Jedenfalls das Gegenteil von unwichtig«, erwiderte Silveira.
    »Schais … oder sollte ich sagen Menschenschais?«
    Ohne auf die obszöne Bemerkung des Voth einzugehen, beugte Kao Chih sich in das kleine Cockpit vor.
    »Wo liegt das Problem, Mr. Silveira?«
    »Es wäre im Moment vielleicht nicht ratsam, an der Orbitalstation anzulegen«, sagte der Erdsphäre-Agent und deutete auf den schirm über der Hauptkonsole. Darin öffnete sich ein rechteckiges Fenster mit den Radialkais, von Agmedra’a, die derzeit von einem gewaltigen graublauen Keil von einem Raumschiff in Beschlag genommen wurden. Die glatte Oberseite war geschwungen, die Unterseite eine Abfolge eckiger Module, Waffenluken, Raketenwerfer, Sensorencluster.
    »Das ist ein Kriegsschiff der Hegemonie«, sagte Kao Chih.
    Silveira nickte. »Die Ajavrin-Vulq , Schlachtkreuzer der Kasteiungsklasse, abgestellt für den diplomatischen Dienst der Hegemonie …«
    »Ha!«, machte Yash. »Wie: ›Wir kommen in Frieden und schießen, um zu töten‹, ja?«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte Kao Chih.
    »Aus offenen Schiffsforen des Dataplex von Agmedra’a«, antwortete Silveira. »Informationen über den Grund des Aufenthalts liegen nicht vor. Ich weiß nur, dass das Schiff vor neun Stunden angelegt hat und dass mehrere Personen von Bord gegangen sind. Es könnte sich um ein zufälliges Zusammentreffen handeln, doch ich glaube, wir sollten uns ein anderes Ziel suchen, zum Beispiel das Asteroidenraumschiff Ihres Volkes. Dem wollte ich ohnehin einen Besuch abstatten.«

    »Der Vergeltung ?«, sagte Kao Chih. »Können wir der Ortung entgehen?«
    »Wir haben nichts zu befürchten, Kao Chih. Die Abschirmung meines Schiffes wird uns ohne Zwischenfall zu Ihrem Felshabitat bringen.«
    Und er stand zu seinem Wort. Eine gute Stunde später nahm das nachgerüstete, reparierte, renovierte und unansehnliche Äußere der Vergeltung das Cockpitfenster ein. Der ausgehöhlte Asteroid war mit Apparaturen überkrustet und glich einem Tiefseebewohner, dessen Haut alle möglichen grotesken

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