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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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sah Gespenster.
    Sah eine Gruppe nebulöser Gestalten mit den gleichen zarten Umrissen wie zuvor, doch diesmal erkannte er darin die Spuren der ehemaligen Bewohner, wie Yash sich ausgedrückt hatte. Die Gestalten wurden deutlicher; drei Uvovo schoben einen beladenen Karren auf die Stelle zu, an der Chel und Yash standen.
    »Was sehen Sie?«, murmelte Yash.
    Chel bat mit erhobenem Zeigefinger um Ruhe, beobachtete das sich nähernde Trio und machte ihm Platz. Auf dem Karren lag ein großes Gerät, doch abgesehen von ein paar Flanschen, Spieren und etwas, das an verdrehte Gliedmaßen erinnerte, war nicht viel zu erkennen. Die Gesichter der Uvovo waren verschwommen, doch ihre Haltung
drückte Anspannung aus. Dann verschwanden sie in der Dunkelheit des Gangs.
    Was sehe ich und warum? Es muss wichtig sein, wenn es nach so vielen Jahrhunderten noch hervorsticht, aber weshalb?
    »Sieht so aus, als hätten wir jemanden aufgeweckt«, murmelte Yash. »Wen haben wir denn da … nein, Moment mal, stopp! …«
    Chel drehte sich um und erblickte neben der Tür einen seiner Techwerker-Gelehrten, der eine Brechstange an einer steinernen Stützsäule angesetzt hatte. Mit ausdrucksloser Miene stützte sich der Gelehrte mit seinem ganzen Gewicht auf die Brechstange. Es knirschte, dann stürzten der Türsturz, die Wand und ein Deckenteil mit lautem Getöse ein. Staubwolken stiegen auf.
    Yash zog ihn zurück und rief etwas von wegen instabiler Decke, und Chel ließ sich fortzerren, während er vor seinem geistigen Auge abermals den Gelehrten sah, diesmal von einem violetten Strahlenkranz umgeben. Dann schlug Yash seinen eigenen Rat in den Wind, trat hustend durch den Staub vor und beleuchtete mit dem schmalen Lichtkegel seiner Taschenlampe die Einsturzstelle. Chel, der das äußere Augenpaar noch immer geöffnet hatte, sah bernsteinfarbenes Licht aus den Lücken im Geröllhaufen hervorfunkeln.
    »Ich höre ihre Stimmen, Chel!«, rief der Voth.
    Chels Sinne, durch sein gesteigertes Sehvermögen in Alarmbereitschaft versetzt, zitterten jedoch warnend - ein schimmernder Umriss floss ein Stück vom Geröllhaufen entfernt aus der Schattenwand hervor. Er konzentrierte sich, ließ die Vision von der Wahrnehmung an seinen Verstand übermitteln, während der Umriss eine eigentümlich abgeflachte Gestalt annahm. Eine Gestalt, die immer wieder
in der Wand verschwand, als wäre sie nichts weiter als ein Rauchschleier. War das vielleicht der Wächter?
    »Helfen Sie mir, Chel! - Wir können sie ausgraben!«
    Die schimmernde Gestalt aber bewegte sich auf den großen Raum zu, von dem mehrere Gänge abgingen.
    »Ich muss ihm folgen, Yash - das ist der Wächter!«
    »Wer soll das sein?«
    Kopfschüttelnd eilte Chel der Erscheinung hinterher, ohne auf die zunehmend zornigen Rufe des Voth zu achten. Als er in die Dunkelheit eindrang, enthüllten seine neuen Augen die verschiedensten Details, Staubteilchen, Nuancen, eine türkisfarbene Umgebung, in der die geheimnisvolle Gestalt wie eine zum Leben erwachte Tempelfigur leuchtete. Er folgte ihr um die Ecke und weiter den Gang entlang zu einer Stelle, wo die Einmündungen zweier hoher Gänge klafften. Zuvor hatten Chel und die anderen sie kurz erkundet, bevor sie sich zum Schlafen gebettet hatten; der eine führte zu einer Wendeltreppe, über die man zu einer kleinen Ebene miteinander verbundener Räume voller Steinkanäle und Röhren gelangte, die in der Zeit von Segrana-Die-War, als die unermesslichen Wälder selbst die Bergketten Umaras bedeckten, verschiedene besonders wichtige Wurzeln geleitet hatten.
    Der andere Gang führte über eine kurze Treppe hinunter zu zwei schweren, verschlossenen Steintüren. Dorthin wandte sich die leuchtende Umrissgestalt, glitt von der Wand zur Tür, wobei die fleckigen Felsflächen scheinbar in wogende Bewegung gerieten, versank darin und verschwand. Seufzend blieb Chel vor den Türen stehen, betrachtete die wundervollen Pflanzenreliefs, dann schob er die Hände in die schrägen Öffnungen und zog daran. Die Tür bewegte sich nicht. Enttäuscht ruckte er noch einmal daran - und vernahm ein leises Knacken.

    Stirnrunzelnd musterte er die Tür. Jetzt, da sich seine Augen, die ursprünglichen und die Seheraugen, an die Dunkelheit und die Überlagerungen aus der Vergangenheit, die Türen öffnenden fremden Hände und das Kommen und Gehen der Schattengestalten gewöhnt hatten, konnte er sie besser erkennen. Er konzentrierte sich. Die rechte Tür schien nicht mehr bündig mit der

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