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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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Stimme wurde milder, der schimmernde Strahlenkranz wich zurück. »… Er kommt hierher voller Lügen, gewaltig und grausam … er stellt mich auf die Probe, und ich ermüde … er will mich grausame Dinge glauben machen, aber ich werde nicht vergessen … was ich bin …«

    »Wer bist du?«, fragte Chel. »Was bist du?« »… Same und Wurzel, Blatt und Zweig …« Die Stimme klang traurig. »… Tropfen der Sonne, Tropfen der Zeit …«
    Chel reagierte erstaunt. Diese Zeilen waren ihm bekannt, ein Kinderreim, der ihm noch immer geläufig war.
    »… Gefiederte, Geschuppte … Grabende, Verpuppte … Summende und Muhende … Schwimmende und Ruhende … alle behütet, alle beschützt … vom einsamen Wächter … dem Hüter Segranas …«
    Der Sprecher verstummte, und ein blasses, amorphes Leuchten floss auf eine mit Reliefs bedeckte Wand zu und verschwand in einem langen horizontalen Riss.
    Was für ein Wesen war das?, dachte Chel. Es wusste vom Hüter, aber es hat versucht, mich und meinen Gelehrten zu unterwerfen.
    Den Liederzyklen des Krieges der Langen Nacht zufolge war der Hüter Segranas der Weiseste aller Weisen, der tüchtigste aller Pfadmeister, den Segrana selbst auserwählt hatte, auf dass er wichtige Hüteraufgaben wahrnehme. Die Pfadmeister waren eingestimmt auf die Gedanken, Stimmungen und Strömungen Segranas, doch nur der Hüter vermochte sie über die Kanäle der Unterschichten der Wirklichkeit, wo die Bewusstseinsinhalte sich vermischten, auch zu teilen. Wenn dem so war, wie konnte dann ein Gespenst jahrhundertelang überdauern? Hatte Yash Recht mit seiner Ansicht, dass sich intensive Emotionen der Umgebung einprägten?
    Er schaute sich um. Der Raum war langgestreckt, an beiden Seiten waren flache Nischen mit mehreren konkaven Kanälen an der Rückseite, die untereinander in Verbindung standen. Das mussten Wurzelleitungen sein, ähnlich denen, die er vor ein paar Wochen in der unterirdischen Wurzelkammer entdeckt hatte. An der anderen
Seite des Raums machte er undeutlich eine Tür aus und ging darauf zu. Dahinter lag ein Kreisgang, von dem neun weitere Wurzelkammern und ein kleiner Raum abgingen, in dem eine kleine, schmale Treppe nach oben führte. Er stieg durch eine rechteckige Öffnung und gelangte in einen hohen, runden Raum, der von ein paar halbdurchsichtigen, glasartigen Tafeln notdürftig erhellt wurde.
    Der Raum hatte einen Durchmesser von etwa hundert Schritten, und die hohe Wand war mit horizontal verlaufenden Friesen geschmückt. Zu Chels Rechten befand sich eine runde Steinplattform, die auf vier kopfhohen Sockeln ruhte. Er konnte erkennen, dass es früher einmal vier solcher Plattformen gegeben hatte, doch die zu seiner Linken war eingefallen, verrußt und geschmolzen, als wäre sie einer unglaublichen Hitze ausgesetzt gewesen. Die gegenüberliegende Plattform war zerschmettert worden, die Bruchstücke waren in der Hälfte des Raums verteilt. Die vierte Plattform wirkte zunächst ebenso unbeschädigt wie die, neben der Chel stand, doch als er sie mit seinen gewöhnlichen Augen eingehender betrachtete, bemerkte er eine zarte Aura und ein schwaches silbriges Leuchten in den Vertiefungen der Oberflächenmuster.
    Mit einem Mal wurde ihm klar, was er da vor sich hatte. Die Motive und Symbole der intakten Plattformen ähnelten denen des Warpbrunnens in der Schulter des Riesen. Als er sich der mit der Aura näherte, nahm er augenblicklich eine Präsenz wahr, eine Verbindung zu Dingen jenseits des Berges, beinahe wie mit etwas Lebendigem. Er stieg die Steinstufen hoch zur abgerundeten Kante und trat auf die schimmernden Muster.
    Augenblicklich wurde es heller, inmitten der Darstellungen aus polierten Mosaiksteinen, die das Licht reflektierten,
erschienen Symbole. Weitere glasartige Tafeln leuchteten auf.
    ENDLICH BIST DU GEKOMMEN, SEHER CHELUVAHAR.
    Ein silbrig leuchtender Schleier stieg von der einen Seite des Plattformrands hoch und pulsierte im Rhythmus der Worte.
    »Ich grüße dich, Wächter«, sagte Chel. »Wurde ich erwartet?«
    ICH HABE MIR GEDACHT, DASS DICH DIE SUCHE NACH EINEM SICHEREN UNTERSCHLUPF NACH UOK-HAKAUR FÜHREN WÜRDE, ALLERDINGS HABE ICH FRÜHER MIT DIR GERECHNET. DIE ZEIT WIRD KNAPP.
    Die Zeit wird knapp, dachte Chel. Schon wieder kryptische Warnungen.
    »Wächter, dürfte ich fragen, weshalb du mit mir sprechen kannst, obwohl du in Waonwir beheimatet bist?«
    DER GRÖSSERE TEIL MEINER SELBST IST EIN INTEGRALER BESTANDTEIL VON WAONWIR - DAS IST MEINE STÄRKE UND

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