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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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innerer Widersacher. Die Hälfte der Sterne am Himmel scheint von unserer Not zu wissen, doch niemand kommt uns zu Hilfe. Offenbar sind wir den anderen egal.

    Wir vermögen nicht alles zu überblicken, was geschieht, deshalb können wir auch nicht wissen, was die Zukunft bringen wird, entgegnete er. Das nackte Erdreich birgt vielerlei Samen.
    Sein Widersacher aber war noch nicht fertig. Wie lange willst du warten, bis aus dem staubtrockenen Boden wieder ein Wald sprießt?
    Chel schaute lächelnd in der Dunkelheit umher, die allein vom trüben bernsteinfarbenen Schein einer Öllaterne erhellt wurde. Er fasste sich an den Stoffstreifen, der seine Seheraugen bedeckte, und war im Begriff, das äußere Paar freizulegen, als eine der am Boden liegenden Schattengestallten sich regte und aufsetzte.
    »Sie können nicht schlafen?«, murmelte jemand mit starkem Akzent auf Noranglik.
    »Das kommt vom Gestein, Pilot Yash«, antwortete er im Flüsterton. »Ich kann mich hier nicht entspannen.«
    »Wie war es dann für Sie in den Höhlen von Tayowal? Die reichen auch tief ins Felsgestein hinein, aber dort hatten Sie keine Probleme zu schlafen.«
    »Das stimmt, aber dort haben die Gelehrten ihre Unterkunft mit Pflanzen, Blumen und Umisknestern ausgestattet, mit allen möglichen Erscheinungsformen von Leben.«
    »Hmm.« Yash kratzte sich am Ohr. »Vielleicht fragen Sie sich auch nur, ob wir beobachtet werden.«
    Chel lächelte. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Orte wie dieser haben immer etwas von …«
    Yash stockte, als einer der Gelehrten im Schlaf etwas murmelte und sich auf die Seite wälzte. Nach kurzem Schweigen wisperte Chel: »Lassen Sie uns draußen weiterreden.«
    Sie erhoben sich und schlichen auf Zehenspitzen zum Ausgang, dann traten sie im Schein einer Fackel ein paar Schritte in den Gang hinein.

    »Sie wollten eine Bemerkung über alte Orte machen, Pilot Yash«, sagte Chel leise.
    Der gedrungene, langarmige Voth, der sich in einen weiten Steppmantel gehüllt hatte, schwenkte die Hand.
    »Ihre Ahnen haben diese Anlage aus bestimmten Gründen erbaut, und sie bietet genug Platz für viele Uvovo und was immer sie vorhaben, nicht wahr?«
    Chel nickte, und Yash breitete die Hände aus.
    »Also, bei uns ist allgemein bekannt, dass es in solchen alten Anlagen, zumal in solchen, die für den Fall eines Krieges oder einer Besatzung angelegt wurden, Spuren ihrer Bewohner und deren Aktivitäten gibt. Ich habe gehört, dass Sie mit Ihren neuen Augen in die Vergangenheit blicken können - haben Sie schon etwas gesehen?«
    »Ich habe diese Augen noch nicht eingesetzt«, erwiderte Chel.
    »Sind Sie denn nicht neugierig?«, fragte der Voth. »Verdammte Sülze, ich an Ihrer Stelle würde wissen wollen, was meine Vorfahren so angestellt haben!«
    Chel lächelte. Natürlich war er neugierig, aber er war auch vorsichtig und ängstigte sich vor dem, was er vielleicht zu sehen bekommen würde. Aber irgendwann muss ich vorwärtsschreiten, und es wäre schon interessant zu erfahren, ob meine Seheraugen enthüllen können, wer oder was uns beobachtet.
    »Also gut, Pilot Yash, ich werde einen Blick in die Vergangenheit werfen. Aber Sie sollten bedenken, dass meine Augen bisweilen mehr enthüllen als nur die Vergangenheit …«
    Er schob den Stoffstreifen in seinen feinen, dichten Kopfpelz hoch und musterte die trüb erhellte Umgebung, die grauen Felsoberflächen, die im Fackelschein hervortraten.
Dann schlug er zögernd das äußere Augenpaar auf. Zunächst sah er das Gleiche wie mit seinen ursprünglichen Augen, abgesehen davon, dass die Gegenstände im Schein von Yashs Taschenlampe, von der dünne Schatten ausgingen, besonders massiv wirkten, eine Folge der Vierfachsicht. Er nahm Stille wahr, das Geräusch von Yashs Atem, seinen eigenen leisen Herzschlag, der sich immer mehr zu verlangsamen schien, immer träger wurde …
    Dann normalisierte sich seine Sicht unvermittelt wieder, an den Wänden flackerten unstete Streifen und Ansammlungen leuchtender Fäden, und die Luft flirrte von schimmernden Umrissen, die sich in Gruppen oder durcheinander bewegten, von Linien, die sich über Wände und Decke wanden, von verhedderten Schlingen, zitternden Netzen, die hin und her wogten …
    Er schnappte nach Luft und schloss fest die Augen. Das war alles zu viel, zu überwältigend - konzentrier dich auf das Jetzt und Hier, auf das wirklich Wichtige, filtere die Missklänge aus -, doch er wappnete sich, atmete tief durch und schlug erneut die Augen auf. Und

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