Waisen des Alls
dachte Theo. »Bei den Uvovo sind Vorhänge vor Türen oder Fenstern Ausdruck tiefer Trauer um einen verstorbenen Angehörigen.«
Malachi lächelte freudlos. »Das kommt der Wahrheit schon recht nahe … Tut mir leid, Major, aber es gibt Schwierigkeiten. Ihr Dariener habt es geschafft, euch mit den Eingeborenen zu arrangieren; ihr vertraut ihnen, akzeptiert sie, und umgekehrt gilt das anscheinend auch. Die Tygraner haben andere Erfahrungen gemacht.«
Theo vergegenwärtigte sich, was der Tygraner über die Geschichte seiner Kolonie berichtet hatte, über die Auseinandersetzungen mit den Zshahil, einem Volk skrupelloser, wilder, reptilienartiger Zweibeiner, die anfangs eine große Gefahr für die Kolonisten dargestellt hatten. Schließlich wurden sie aufgrund der überlegenen Waffen und der größeren Disziplin der Menschen geschlagen. Ein Friedensvertrag, genannt der Kalte Waffenstillstand, wurde unterzeichnet, und die Zshahil wanderten zu einem anderen Kontinent aus.
»Schreiben Sie darüber?«, fragte Theo.
Der Tygraner nickte. »Und über andere Dinge, über meine Beobachtungen und die kostbaren Erinnerungsreste aus meinem früheren Leben. Ich kann nicht mehr nach Tygra
zurückkehren - Soldaten, die gefangen genommen werden und den Weg in die Nacht verfehlen, haben ihr Leben verwirkt. Deshalb muss ich versuchen, die fremde Umgebung und mich selbst auf neue Weise zu verstehen. Deshalb bemühe ich mich, Sie zu verstehen, Major.«
Theo lachte. »Ich würde mich nicht gerade als beispielhaft bezeichnen, aber wenn es Ihnen hilft, fragen Sie bitte.«
Nach außen hin wirkte Theo entspannt, während er innerlich frohlockte. Nach seiner Gefangennahme war Malachi ein unempfänglicher Klotz gewesen, doch nach zwei Wochen hatte er sich mit seiner Lage anscheinend abgefunden und um Schreibzeug gebeten. Außerdem hatte er angefangen, über die tygranische Kolonie und deren Anfänge zu sprechen, wenn auch nur in Ansätzen. Bis jetzt.
Malachi erwiderte Theos Blick. »Würden Sie mir aus Ihrer Sicht von der heutigen Auseinandersetzung berichten?«
Theo kam seinem Wunsch nach und schilderte die Kämpfe und den erfolgreichen Einsatz der Reserve. Malachi machte sich Notizen, und Theo hatte auf einmal das Gefühl, auch seine Sprechweise und sein Verhalten würden einer genauen Analyse unterzogen.
»Ich bedaure, dass Uvovo zu Tode gekommen sind«, sagte Malachi.
»Ich bedaure es immer, wenn jemand unnötigerweise zu Tode kommt«, erwiderte Theo. »Ein Krieg bringt stets ungewollte Schmerzen und Tod mit sich. Ich weiß nicht, wer die Brolturaner befehligt, aber im vergangenen Monat hat er fast hundertfünfzig Mann verloren, ohne irgendetwas dabei zu gewinnen.« Theo verzog verächtlich den Mund. »Seine Leute sind ihm egal - die sind für ihn nur
Zahlen, die er gegen uns ins Feld führt. Eine Verschwendung von Leben und Ressourcen.«
»In der Schlacht trennt sich die Spreu vom Weizen, die Schwachen und Unfähigen werden ausgemustert«, sagte Malachi. »Ein universelles Axiom besagt, dass die Starken es verdient haben zu überleben, weil nur die Starken ums Überleben kämpfen.«
Theo lächelte. »Stärke kommt in verschiedenen Erscheinungsformen, Größen und Farben daher, und ich glaube, ich habe noch nicht alle kennengelernt. Kein Kommandant sollte sich der Schlacht bedienen, um die Schwachen und Unfähigen auszumustern - das ist die Aufgabe der Truppenführer.«
Malachi ließ sich das durch den Kopf gehen, dann sagte er:
»Ihre Einschätzung der brolturanischen Offizierskaste ist zutreffend - ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie ein hoher tygranischer Offizier gesagt hat, die Soldaten seien schlechter als frühere Generationen. Die Hegemonie stellt ihnen neuartige, hoch wirksame Waffensysteme zur Verfügung, und das hat ihrer Taktik die Spitze genommen.«
»Es gibt keine schlechten Regimenter, nur schlechte Offiziere«, sagte Theo.
Malachi stutzte, dann schnippte er mit den Fingern. »Stammt der Ausspruch nicht von Napoleon?«
»Von General Slim, einem britischen Befehlshaber, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Japaner gekämpft hat«, erwiderte Theo. »Napoleon hat gesagt: ›Es gibt keine schlechten Soldaten, nur schlechte Offiziere.‹« Darum bemüht, sich sein Interesse nicht anmerken zu lassen: »Auf welche Weise gewährleistet eigentlich das tygranische Militär seine taktische Einsatzbereitschaft? Verfügen Sie über prachtvoll herausgeputzte gewaltige Schlachtschiffe?«
Malachi lachte schallend, was er
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