Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
Vom Netzwerk:
möglich wäre? Nein, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Somit sah es ganz danach aus, als müsse er die alten Tugenden des Selbstvertrauens rekultivieren, wenn er sich für das Konstrukt oder sonst jemanden nützlich machen wollte.
    Er stand auf, um zu duschen, doch da läutete auf einmal die Tür.
    »Ja?«
    »Daddy, ich bin’s, Rosa.«
    »Ah, komm rein, komm rein!«
    Die Tür glitt auf, und sie trat ein. Das lange, blonde Haar hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden, und sie trug einen dunkelgrünen Overall, der eigentlich höheren Technikern vorbehalten war, doch darüber hatte sie ein hübsches taubenblaues Bolerojäckchen mit roten Stickereien an Manschetten, Taschen und Kragen angezogen. Um den Hals trug sie ein Kettchen mit einem kleinen roten Steinanhänger. Die Kombination war umwerfend und ließ sie reif und irgendwie respekteinflößend erscheinen.
    »Schönes Outfit«, sagte er. »Ach, das Schiff hat sich an der Hinterlassenschaft eines anderen Passagiers orientiert«, meinte sie. »Ich wollte dir sagen, dass wir Schicht 92 früher erreichen werden als erwartet - die Plausible Antwort hat eine Alternativroute durch die Grenzbereiche gefunden, deshalb sollten wir in sechs bis sieben Stunden am Ziel sein.«
    »Das ist eine gute Nachricht«, sagte Robert, sich der Last des Selbstzweifels deutlich bewusst. »Na ja, vielleicht auch nicht. Rosa, ich muss dir sagen, dass ich mich dieser Situation nicht ganz gewachsen fühle. Es bereitet mir Sorge, dass uns mein eigenes Urteil ohne AI-Unterstützung in große Gefahr bringen könnte.«

    »Daddy, ich habe volles Vertrauen in dich«, sagte sie und ergriff seine Hände. »Eigentlich noch mehr, seit dein unsichtbarer Freund verschwunden ist. Deine Erfahrung und dein Instinkt sind immer noch vorhanden, und ich verlasse mich darauf, und gelte es mein Leben.«
    Robert lächelte gerührt, doch seine grundlegenden Zweifel blieben davon unangetastet.
    »Außerdem hat sich das Konstrukt diesen Körper ausgedacht«, fuhr sie fort. »Deshalb bin ich etwas zäher, als es aussieht.«
    »Das ist … beruhigend, glaube ich.«
    Sie lachte. »Komm doch mit auf die Brücke und hilf mir, das Schiff und Reski Emantes von ihrem Vitriol-Turnier abzulenken.«
    »Später vielleicht - ich möchte erst mal duschen und mir dann in der Observationslounge anschauen, was es von Schicht 92 zu sehen gibt.«
    »Ist gut, Daddy. Ich gebe dir eine Stunde vor Erreichen des Ziels Bescheid, falls wir uns nicht eher sehen.«
    Sie winkte ihm lächelnd zu und ging hinaus. Robert wandte sich zum Bad.
     
    Die kleine, hufeisenförmige Observationslounge lag vorne im Unterbau der Plausible Antwort . Die Beleuchtung war gedimmt, nur der Boden leuchtete schwach. Robert saß in einem Feedbacksessel und arbeitete sich mit behutsamen Fingerbewegungen auf dem Flexschirm durch die Informationen zum Urcudrelriss, wie Schicht 92 von dessen schwindender, weit verstreuter Bevölkerung genannt wurde. Den gespeicherten Daten zufolge hatte der entropische Zusammenbruch des Urcudrel-Kontinuums kleine, aber bedeutsame Veränderungen der makrophysikalischen Gesetze zur Folge gehabt, so dass sich beim Kollaps seiner
Welten spontan eine neue Ordnung herstellte. Es eten sich gewaltige Kristallformationen, aus dem alles zerschmetternden Chaos wuchsen polyedrische Konglomerate hervor. Robert fand das vollkommen bizarr, doch eine Datei enthielt Videomaterial von einer riesigen Klippe aus steingrauen Würfeln und einer schlichten Ansammlung achteckiger Säulen, beides überspannt von einem wolkenverhangenen Himmel aus auf dem Kopf stehenden, dunklen, durchscheinenden Pyramiden, die ein flackerndes, bleiches Licht abgaben.
    Der Urcudrelriss war auch fragmentarisch, das Kontinuum aufgrund des beiderseitigen Drucks lückenhaft geworden. Einige vom Hauptdegrakosmos abgeschnittene Regionen hatten eigene Charakteristiken entwickelt und wurden als schiefe Ebenen bezeichnet - auf einer dieser Ebenen lag ihr Ziel.
    Außerhalb der Observationslounge waren gewaltige Netze zu erkennen, die aus gesprenkeltem Glas zu bestehen schienen. In der Ecke des Fensters stand die Zahl 87, eine geisterhafte Anzeige, welche die Schicht bezeichnete, die sie gerade durchquerten. Durch ein Labyrinth funkelnder Stränge in die Ferne blickend, sah er etwas, das eine schiefe, turmartige Stadt hätte sein können, die am Verknüpfungspunkt zahlloser funkelnder Kabel hing. Oder aber es handelte sich um ein gewaltiges Raumschiff, das sich in den

Weitere Kostenlose Bücher