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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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und habe an Beratungen auf höchster Ebene teilgenommen, habe gegnerische
Parteien an den Verhandlungstisch geholt und nach Gemeinsamkeiten und Wegen gesucht, Konflikte gewaltfrei zu lösen …« Außer im Fall der Yamanon-Domäne, wo all die Gipfeltreffen, Waffeninspektionen und Überprüfungen durch unabhängige Beobachter am Ende nur als Feigenblatt für eine Militäraktion dienten, die unabhängig davon, was das Dol-Das-Regime sagte oder tat, längst beschlossene Sache war.
    Der Verweser schwamm näher an die durchsichtige Barriere heran, schwieg jedoch weiter. Robert seufzte.
    »Ich muss zugeben, dass nicht alle meine Entscheidungen einen zufriedenstellenden Ausgang nahmen - meine Frau würde das sicherlich unterstreichen.«
    »Ihre Frau?« Die Gestalt des Verwesers wurde schmaler, das eine Auge versechsfachte sich, und alle Augen richteten sich auf Robert. »Versteht man darunter eine Art Lebens-Seelenpartner?«
    Robert lächelte traurig. »Ja, das stimmt.«
    »Haben Sie Nachkommen?«
    Vor seinem geistigen Auge sah er Rosa bäuchlings und reglos auf der Unterseite des Legionsritters liegen. Doch er behielt die Fassung.
    »Wir hatten eine Tochter. Sie lebt nicht mehr.«
    Der Augencluster des Verwesers teilte sich erneut, bis mehr als ein Dutzend Augen Robert unverwandt musterten.
    »Wie ist sie gestorben?«, fragte das Wesen.
    Die Umstände ihres Todes zu schildern, fiel ihm niemals leicht, egal wie oft er es schon getan hatte, doch er wappnete sich für einen weiteren Durchgang. Er erklärte, sie habe einer politischen Gruppe angehört, die gegen die Yamanon-Invasion opponiert und versucht habe, mit einer Handvoll ungepanzerter Kleinraumer eine Schlachtflotte
von Raumschiffen der Erdsphäre und der Hegemonie zu blockieren. »Das Schiff, mit dem sie flog, wurde vom Kommandanten eines Kriegsschiffs der Hegemonie als Bedrohung angesehen, der daraufhin das Feuer eröffnete und das Raumfahrzeug vernichtete …«
    »Wie fällt die übliche Reaktion der Hegemonie auf derlei Demonstrationen aus?«
    »Unnachgiebig und brutal, bisweilen kommt es zu Toten.«
    Die Augen des Verwesers funkelten. »Dann kannten ihre Tochter und deren Gefährten also die Gefahr, als sie sich dem Kriegsschiff in den Weg stellten.«
    »Davon gehe ich aus«, sagte Robert stirnrunzelnd. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Dann waren sie also vorbereitet und haben bewusst in Kauf genommen, dass sie ums Leben kommen könnten …«
    »Einen Moment, bitte, Verweser! Keiner von ihnen hat damit gerechnet, dass man sie unter Feuer nehmen würde …«
    »Liegt das Risiko offen zutage, ist die Verantwortung umfassend, das Problembewusstsein unentrinnbar.«
    »Das stimmt nicht«, entgegnete Robert, um einen höflichen Ton bemüht. »Sie haben geglaubt, die Flotte werde sich zurückhalten und sie wären im neutralen Raumhafen sicher …«
    Im Verlauf des Wortwechsels war der kleinere Subverweser immer aufgeregter geworden. Sein länglicher Körper zog sich zusammen, die Kopftentakel wanderten am plumpen Oberkörper hinunter, während die Augen sich teilten und auseinanderrückten. Währenddessen verlor der Torso seine Form, und die Augen wanderten wahllos umher.
    »Zurückhaltende Macht … ist eingeschränkte Macht.« Die Stimme des Verwesers schwankte, löste sich in mehrere
Einzelstimmen auf, die im Chor sprachen. »Sie wussten, worauf sie sich einließen … sie haben sehenden Auges ihren Tod in Kauf genommen …«
    »Nein!«, rief Robert. »Sie wollten leben!«
    Im nächsten Moment verkrampfte sich die bleiche, amorphe Masse des Verwesers, als hätte man ihn geschlagen, dann teilte er sich unvermittelt in einen Schwarm kleiner Tintenfische auf. Plötzlich herrschte hinter der Trennwand hektisches Gewimmel - einige spritzten davon, während andere sich in drei Hauptgruppen sammelten, die sich gegenseitig argwöhnisch beäugten und voneinander Abstand hielten. Dann brachen die beiden Subverweser ihren Tanz ab und stießen mit weit geöffneten Mäulern herab. Die meisten kleinen Tintenfische schwammen von sich aus in die Mundöffnungen, und währenddessen schwollen die beiden Subverweser an.
    Robert beobachtete den Vorgang gebannt und musste an ein Gemälde im Berliner Nationalmuseum denken, ein surrealistisches Werk aus dem 21. Jahrhundert von Arbeiter mit dem Titel Tanz der Ichs . Dargestellt war eine Gestalt, die in einem kahlen Raum lag, während Masken mit dem Gesicht der liegenden Person sich von deren Kopf entfernten und im Raum umherflogen. Robert

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