Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Amerikanern«, las er von dem Gedenkstein ab.
Morgenstern ging nun ebenfalls hinüber. »Was sind schon achtzehn Tote in einem Krieg, der fünfzig Millionen das Leben gekostet hat? Merkwürdig, dass die hier so ein Brimborium veranstalten.« Er deutete auf die zwei Reihen blumengeschmückter Gräber mit kleinen Holztafeln, auf denen die Namen, das Geburtsdatum und der Heimatort der Soldaten standen. »Ist doch alles schon eine Ewigkeit her. Wenn ich da an den Friedhof in Nürnberg denke, wo meine Oma beerdigt ist: Da kräht schon nach zwanzig Jahren kein Hahn mehr nach den lieben Verstorbenen. Schwuppdiwupp, läuft die Grabmiete aus, die Friedhofsverwaltung macht das Grab platt, und dann kommt der Nächste rein. Das ist der Lauf der Welt.«
»Bei einem Soldatenfriedhof ist das eben anders«, bremste ihn Hecht. »Wenn die Leute schon so jung fürs Vaterland gestorben sind, dann erweist ihnen die Gesellschaft wenigstens diese letzte Ehre. Das gehört sich so.«
»Ich find das übertrieben«, maulte Morgenstern. »Lass uns weiterfahren. Unser aktueller Todesfall ist wichtiger.«
Erwin Zachinger wohnte in unmittelbarer Nähe des zentral gelegenen Biesenharder Dorfweihers, der sogenannten Hüll. Viele Dörfer auf dem wasserarmen Jura hatten solche Weiher. Früher waren sie in den trockenen Sommermonaten für das Tränken des Viehs unverzichtbar gewesen; heute dienten sie den Feuerwehren als Löschteich, denn das nächste Gewässer war meist erst die kilometerweit entfernte Altmühl.
»Bin mal gespannt, wo wir hier fündig werden«, sagte Hecht, als sie in den gepflasterten Hof einbogen. Das Anwesen war ein stillgelegter Bauernhof mit einem schmucklosen Wohnhaus aus den siebziger Jahren, einer angebauten Scheune und mehreren großen Garagen.
Auf ihr Läuten hin öffnete eine schmale Frau mit langen schwarzen Haaren die Tür.
»Frau Zachinger?«, fragte Morgenstern und zog, als die Frau nickte, seinen Polizeiausweis aus der Hosentasche. Die Frau wurde blass.
»Kriminalpolizei?«, sagte sie zögernd. »Was gibt es denn?«
»Wir haben hier einen Durchsuchungsbeschluss.« Hecht entfaltete den Bescheid des zuständigen Richters vom Landgericht Ingolstadt. »Lesen Sie ihn sich in aller Ruhe durch. Was uns aber als Erstes interessiert: Ist Ihr Mann da?«
»Der Erwin, nein, der ist nicht da. Er ist beim …« Frau Zachinger presste die Lippen zusammen. Dann straffte sie die Schultern und sagte unerwartet selbstbewusst: »Ich glaube nicht, dass ich Ihnen darüber Auskunft geben muss. Und ich tue es auch nicht. Schon gar nicht, wenn ich nicht weiß, was Sie von ihm wollen.«
»Wo ist Ihr Mann? Ist er an der Arbeit?«, fragte Hecht.
»Mein Mann ist Metzger, er macht Hausschlachtungen.«
»Aha«, sagte Morgenstern ohne rechte Vorstellung von Zachingers Arbeit. »Dann ist er jetzt vermutlich gerade bei so einer Hausschlachtung?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie von mir nichts erfahren werden«, beharrte die Frau, nahm sich ohne weitere Worte die richterliche Anordnung und las sie sorgfältig durch – einschließlich der im ärgsten Juristenkauderwelsch formulierten Rechtsbehelfsbelehrung. Erst dann winkte sie die beiden mit zusammengepressten Lippen ins Haus.
Im Gang sagte Hecht: »Sie haben es selbst gelesen, Frau Zachinger. Ihr Mann wird der Wilderei beschuldigt. Sie können sich und uns die Sache einfacher machen, wenn Sie uns …«
Sie schüttelte wortlos, aber vehement den Kopf.
»Ganz wie Sie wollen«, sagte Hecht und öffnete aufs Geratewohl die erste Tür. Sie führte in die Wohnküche.
Die Kommissare sahen sich um, öffneten hier eine Schublade, dort eine Schranktür, gingen in den nächsten Raum, in den übernächsten. Ein Gästezimmer, ein Bad, eine Speisekammer. Nichts Verdächtiges außer diversen geräucherten Würsten, die im Vorratsraum an einer langen Stange baumelten. Das konnte natürlich Wildschweinsalami sein, überlegte Morgenstern. Aber selbst wenn – daraus könnten sie Erwin Zachinger bestimmt keinen Strick drehen.
Als sie ins Schlafzimmer im ersten Stock kamen, stellte Morgenstern erstaunt fest, dass über dem Doppelbett – säuberlich gerahmt und an einem dicken Haken – ein fast lebensgroßes Bild von Jimi Hendrix hing. Hendrix, der Gitarrengott, im vergoldeten Barockrahmen hinter Glas. Morgenstern brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass dieser Rahmen ursprünglich das Bild eines röhrenden Hirsches im Erlengrund geschmückt hatte und von den Zachingers nicht
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