Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
ziemlich voll sind«, meinte Jonas, woraufhin Morgenstern darauf bestand, dass sie sich trotz des Altersunterschieds von fünfundzwanzig Jahren gerne duzen könnten.
»Und was macht man so als Zivi im Altenheim?«, fragte er. »Alten Leuten den Hintern abputzen und solche Sachen?«
»Das kann schon vorkommen«, nickte Jonas. »Ich bin im Spital Mädchen für alles, das geht vom Rasenmähen bis zur Essenausgabe. Ich helfe auch beim Bettenüberziehen und schiebe seit Neuestem manchmal auch Nachtdienst. Die Pflegerinnen können jede Hilfe gebrauchen, und es ist gut, wenn jemand da ist, bei dem nicht jede Minute genau abgerechnet werden muss. Jemand, der auch mal für ein Gespräch mit den alten Leuten Zeit hat.«
»Was willst du nach dem Zivildienst machen? Studieren? Hier in Eichstätt an der Katholischen Universität?«
Jonas lachte leise auf. »Nein, hier in Eichstätt, wo jeder jeden kennt, auf keinen Fall. Ich muss dringend weg aus dem Altmühltal, mir ist es jetzt schon zu eng. Sogar hier im Pub kann es passieren, dass plötzlich mein Vater mit ein paar Arbeitskollegen reinkommt und mich vielleicht blöd anredet. Wir verstehen uns nicht so wahnsinnig gut, musst du wissen. Er motzt dauernd an allem rum. An meiner Frisur, an meinen Freunden, an meinen Abinoten.«
Morgenstern nickte.
»Nein, ich will nach Berlin gehen, Großstadtluft schnuppern. Ich möchte dort an der Uni Soziale Arbeit studieren, ich würde gerne irgendwas mit Kindern und Jugendlichen machen.« Jonas nahm einen großen Schluck Bier. »Aber vorher, wenn ich mit dem Zivildienst fertig bin, fliege ich mit meiner Freundin für ein paar Wochen nach Jamaika, das ist sicher. Das Geld dafür haben wir schon zusammen. Wir brauchen nicht viel.«
In Morgenstern keimte Neid auf. Da war jemand, dem die ganze Welt offen stand. Der entschlossen war, seinen Weg zu gehen, sich seine Träume zu erfüllen, ohne Kompromisse.
Er seufzte sehnsüchtig: »Jamaika …! Ich würde gerne mal nach Kalifornien fliegen, das hab ich mir schon ganz lange fest vorgenommen. Aber mit Familie kann ich mir das einfach nicht leisten. Viel zu teuer und aufwendig. Mal sehen, vielleicht in fünfzehn Jahren.«
Jonas grinste. »Und dann kommst du womöglich wieder bloß bis Bibione.«
Morgenstern fühlte sich ertappt. Andere reisten durch die ganze Welt, und er hatte bisher immer nur davon geträumt. Würde es dabei bleiben, bloß weil er zu träge war, den entscheidenden Schritt zu tun? Er kam sich gegenüber diesem jungen optimistischen Burschen wie ein kleinmütiger Jammerlappen vor. Und so alt mit seinen dreiundvierzig Jahren! War er in seinem Innersten vielleicht ein Spießer? Der bestgetarnte Spießer des Altmühltals? Mit einem Mal hatte er die Lust an diesem Kneipenabend verloren, obwohl der Pub von Minute zu Minute voller wurde. Er trank sein Bier aus, brummelte etwas von einem harten Tag, den er morgen vor sich habe, und verließ die Kneipe. Es war beinahe eine Flucht.
Als er kurz vor Mitternacht die Tür seiner Mietwohnung in der Altstadt aufschloss, brannte im Wohnzimmer noch Licht. Fiona saß auf dem Sofa; vor ihr lag aufgeschlagen der große Schulatlas von Marius, auf einem Schemel stand ein Glas Wein.
»Schönen guten Abend, lernst du noch ein bisschen Erdkunde?«, fragte Morgenstern leichthin.
»Viel, viel besser«, gab Fiona zurück. »Dreimal darfst du raten.«
Neugierig kam Morgenstern näher. »Aha, die Türkei«, sagte er nach kurzem Blick auf den Atlas. »Willst du herausfinden, woher unsere türkischen Nachbarn stammen?«
In Eichstätt lebten viele Türken; etliche von ihnen arbeiteten in den Steinbrüchen der Umgebung und den dazugehörigen Steinschleifereien, und die meisten von ihnen wohnten – wie die Morgensterns – in der Eichstätter Altstadt. Marius und Bastian gingen mit den Kindern in die Grundschule, die Eltern kannten sich vage.
»Falsch.«
»Du willst einen Bauchtanzkurs bei der Volkshochschule belegen, weil dich dein Aquarell-Malkurs nicht ausfüllt?«
»Bei dir piept’s wohl! Ganz falsch.«
»Will irgendwer aus unserem Bekanntenkreis in die Türkei fahren?«
»Schon besser. Du bist ganz dicht dran, Mike.«
»Jetzt fällt mir nichts mehr ein.«
»Du hast die drei Versuche sowieso schon versemmelt. Also lüfte ich jetzt das Geheimnis: Ich habe heute Vormittag ganz spontan und extrem billig einen Last-Minute-Kurzurlaub in Antalya gebucht. Du hast doch noch so viel Urlaub, und die Kinder haben ihre letzte Ferienwoche. Am
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