Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
wieder wer in Ingolstadt, das garantiere ich dir. Dann sehen sie mich nicht mehr scheel an, die Herren Kollegen im Stadtrat.«
»Oh nein. Wir sperren hier zu, und mit der halben Million machen wir uns ein schönes Leben. Reisen, Golf, reiten, ein neues Auto, eine schöne Wohnung, und zwar nicht mehr hier, sondern in der Stadt, gleich in der Ludwigstraße. Neulich war ein Loft in der Zeitung ausgeschrieben, zweihundertfünfzig Quadratmeter, dritter Stock. Und wenn du unbedingt arbeiten willst, kannst du ja in Immobilien machen oder so etwas.«
»Ich bleibe, was ich bin, und ich bleibe hier, und zwar mit dir.«
»Nein, ich werde nicht zusehen, wie du hier weiterhin Geld verbrennst. Das Haus des Alten in Eichstätt ist für uns ein Geschenk des Himmels. Ich werde in dieses Loft in der Ludwigstraße einziehen.«
Eine kurze, gefährlich stille Pause entstand.
Dann hörten die Kommissare die scharfe Stimme der Frau wieder: »Und wenn du nicht mitkommst, gehe ich allein.«
Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da hörten sie ein lautes Klatschen, gefolgt von einem weiblichen Aufheulen, das in lautes Schluchzen überging. Wenige Sekunden später fiel im Büro ein Gefäß zu Boden und zersprang, soweit sich das von außen beurteilen ließ, in tausend Teile.
Die Kommissare sahen sich an. »Wir sollten eingreifen«, sagte Morgenstern. Hecht nickte.
In diesem Moment flog die angelehnte Tür auf, und Walter Schreiber stürmte mit hochrotem Kopf heraus. Die Ermittler hatten keine Zeit mehr, sich diskret zurückzuziehen, sondern standen unvermittelt vor dem Firmenchef.
»Grüß Gott, Herr Schreiber«, sagte Hecht. »Wir haben einen Termin bei Ihnen und Ihrer Frau, jetzt um halb zehn. Aber wenn es gerade nicht passt …«
Schreiber sah die Kommissare misstrauisch an. Offenbar fragte er sich, ob die beiden den Streit mitgehört hatten.
Dann flötete er Richtung Büro: »Irmgard, kommst du mal bitte. Die Herren von der Polizei wären jetzt da.« Er stellte sich breitbeinig vor die Tür, um Morgenstern und Hecht die Sicht ins Büro zu verstellen, dessen Boden, so vermutete Morgenstern, mit Scherben übersät war.
Irmgard Schreiber brauchte eine kleine Weile, bis sie aus der Tür trat. Auf ihrer linken Wange zeichnete sich deutlich ein großer roter Fleck ab, und es war unverkennbar, dass sie geweint hatte.
»Ach, die Kripo!«, sagte sie dennoch, als sei nichts gewesen, und gab erst Hecht, dann Morgenstern die Hand. »Ich würde sagen, wir gehen in eines unserer Wohnzimmer und unterhalten uns dort. Im Büro ist es … ein bisschen zu eng.«
Irmgard Schreiber war Anfang fünfzig und eine auffällige Erscheinung: groß, gut aussehend, schlank, lange blonde Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Über eine eng anliegende weiße Bluse hatte sie lässig einen hellblauen Kaschmirpullover geschlungen. Dazu trug sie eine hautenge schwarze Hose, und selbst hier im Möbelhaus trennte sie sich nicht von einer großen Sonnenbrille, die sie sich ins Haar geschoben hatte. Morgenstern war beeindruckt, sogar ein wenig eingeschüchtert, wie immer, wenn er solchen Frauen begegnete. Und mit einem Blick hinüber zu Spargel sah er, dass es dem Kollegen ähnlich ging. Das musste ein typischer Männerreflex sein, dachte Morgenstern, denn seine eigene Frau beurteilte diesen Typus grundsätzlich als »blonden Alptraum« – und Morgenstern musste ihr zugestehen, dass sie mit dieser Einschätzung meistens richtig gelegen hatte.
Sie gingen in die Wohnzimmerabteilung und nahmen auf einer schwarzen Ledercouchgarnitur Platz. An der Wand stand eine Schrankwand voller Bücher. Morgenstern stand noch mal kurz auf, um sich die Bücher anzusehen. Er entdeckte Kriminalromane, Liebesschnulzen und sogar ein Handbuch der Astrologie. Die Schreibers hatten die Ramschware vermutlich im modernen Antiquariat zum Meterpreis erstanden.
»Erzählen Sie mir doch bitte noch etwas mehr über Ihren Vater, Herr Schreiber«, sagte Morgenstern und blätterte in einem dicken Wälzer mit dem Titel »Die Schlacht um Stalingrad«. Er dachte daran, was ihm die Jäger am Eichstätter Volksfest-Stammtisch erzählt hatten: Sie hatten Schreiber als Mann mit reaktionären Ansichten geschildert. »War Ihr Vater denn noch im Krieg?« Er hielt Schreiber junior den Landser-Schinken vor die Nase. Einen Augenblick lang durchzuckte ihn ein Gedanke: Auf welcher Seite der alte Herr wohl damals gestanden hatte? War er ein junger Soldat gewesen, der tapfer mitmarschierte, weil es ihm
Weitere Kostenlose Bücher