Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
protestieren, aber Hecht hatte für den Augenblick die besseren Argumente. Schweigend trank er seinen Kaffee aus.
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte er schließlich. »Aber erst ab Montag«, fügte er hinzu. »Nach dem Volksfest.« Oder nach dem Urlaub, dachte er.
Sie waren deutlich zu früh dran, als sie in die Manchinger Straße einbogen, das große Ingolstädter Gewerbegebiet im Süden der Stadt, direkt neben der Autobahn. Die Media-Markt-Konzernzentrale war hier draußen angesiedelt, ebenso die große Brauerei Herrnbräu; es gab Elektromärkte, Möbelhäuser, Fast-Food-Restaurants und, wie Morgenstern von den Kollegen der »Sitte« wusste, auch das ein oder andere Rotlicht-Etablissement. Den Abschluss dieses Kommerz-Konglomerats bildete das neue Fußballstadion des FC Ingolstadt 04. Bis vor wenigen Jahren hatte auf dem Gelände eine Erdölraffinerie gestanden.
Morgenstern steuerte den Wagen auf den Parkplatz des Möbelhauses, der bis auf wenige vereinzelte Autos leer war. » WOHNPARADIES « stand in riesigen Neonbuchstaben über dem Eingang, daneben war in Kursivschrift, ebenfalls mit Neon beleuchtbar, »Schreiber« zu lesen. Das große »W« des Wohnparadies war allerdings kaum noch zu entziffern.
»Ohnparadies«, las Hecht. »Ohne Paradies – das ist die glatte Antiwerbung.«
In allen Fenstern hingen »Reduziert«-Schilder oder Hinweise auf einen sogenannten » SALE «. »Sale« – Morgenstern hasste dieses Wort, das im Laufe weniger Jahre jedes deutsche Schaufenster erobert hatte. Sogar der kleinste Tante-Emma-Laden versuchte inzwischen mit diesem Begriff seinen Sonderangeboten einen Anstrich von Weltläufigkeit zu geben. Nicht viel besser schien ihm das »Schnäppchen«, das in den Auslagen des Schreiber’schen Möbelhauses ebenfalls eine zentrale Stellung einnahm und die Kunden zum Konsumieren animieren sollte. Bloß: Welche Kunden? Die wenigen Autos auf dem Parkplatz gehörten anscheinend dem Personal, nicht auszuschließen, dass sich auch der ein oder andere Dauerparker auf dem Gelände der Schreibers eingefunden hatte.
»Sieht nicht gut aus für den Laden«, fasste Hecht seinen ersten Eindruck zusammen. »Wenn das das Paradies sein soll, was erwartet den Kunden dann in der Hölle?«
»Übertreib mal nicht, wir sind vielleicht ein bisschen früh dran«, entgegnete Morgenstern. Gemeinsam schlenderten sie zum Eingang, dessen Glasflügel sich vor ihnen automatisch zur Seite schoben. Der Eingangsbereich war vollgeramscht mit Nippes: weinende Clowns aus Porzellan, Blechlaternen mit rustikaler Rostpatina, Blumenvasen aus Bleikristall, ausladende Kerzenleuchter, die über und über mit Strassklunkern behängt waren. Aus unsichtbaren Lautsprechern schallte Synthesizermusik, die auf die Kunden vermutlich entspannend wirken sollte, bei Morgenstern aber augenblicklich Aggressionen auslöste. Er überlegte, weshalb ihm diese Musik bekannt vorkam, und nach einigen Augenblicken fiel es ihm ein: Bei der Geburt von Marius hatte die Hebamme die werdenden Eltern mit solchen meditativen Sphärenklängen beschallt, bis Fiona sich das esoterische Gedudel entnervt verbeten hatte.
An der Kasse etwas abseits saß ein Mitarbeiter und telefonierte leise. Die Kommissare wollten nicht stören, also zogen sie einigermaßen ziellos durch die Abteilungen – Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer. Sie waren tatsächlich die einzigen Besucher im ganzen Haus. Als sie in der Matratzenabteilung ankamen, an deren Eingang großspurig das Schild »Schlummer-Paradies« hing, hörten sie laute Stimmen. Ein Streit. Ganz in der Nähe. Hecht und Morgenstern sahen sich an, dann gingen sie in Richtung der Stimmen und standen unvermittelt vor einer Tür mit der Aufschrift »Büro«. Sie war nur angelehnt.
»Keinen Cent stecke ich noch in diesen Schuppen«, keifte eine weibliche Stimme. »Das ist alles rausgeschmissenes Geld.«
Eine dunkle männliche Stimme hielt dagegen – die Kommissare kannten diese Stimme. Es war die Walter Schreibers. »Mit diesem Geld kann ich anfangen, was ich will. Und ich sage: Wir machen hier weiter. Es kann nicht immer nur abwärts gehen, eines Tages wendet sich das Blatt.«
»Da wendet sich gar nichts. Wir müssen die offenen Rechnungen bezahlen, und danach sind wir wieder pleite.«
»Nein, meine Liebe. Ich rechne mit einer halben Million, die wir für das Haus in Eichstätt bekommen. Damit sind wir saniert. Ich werde diesen Heuschrecken die Stirn bieten. Die werden mich kennenlernen. Und dann sind wir
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