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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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beugte sich nach vorn, und der Mann – er war vielleicht Mitte dreißig und etwas älter als die anderen – drückte ihr ein Handy in die Hand.
    »Das ist von Davor«, sagte er auf Türkisch, »lass dich nicht damit erwischen, mein Cousin ist in Suhr mit ihm zur Schule gegangen.«
    Der Mann wirkte angespannt, er lächelte verkrampft und wandte sich von ihr ab, er hatte seine Pflicht erfüllt. Ayfer nahm das Handy in beide Hände und schloss die Finger darum, wild entschlossen, es um keinen Preis je wieder loszulassen. Das Gerät strahlte Wärme ab, und sie konnte nichtanders, als sich vorzustellen, diese Wärme stamme von Davor. Es war, als sei es eine Spur dunkler geworden, seit der Mann ihr das Handy gegeben hatte, das in ihren Händen pulsierte wie ein Herz, das ruhig und kräftig schlägt.

11
    Roberta machte das Licht aus, trat auf den Gartensitzplatz hinaus, zog die Balkontür hinter sich zu, lauschte der Stille und wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    Dann ging sie los, um ihren Rucksack zu holen, quer über die Wiese, auf den Waldrand zu. Die Blechschere war schwerer, als sie erwartet hatte; sie musste sie sich über die Schulter legen wie ein Bauarbeiter den Spaten. Hausmeister Benassa bewahrte die Werkzeuge in einem Keller neben dem Heizraum auf; der Raum war abgeschlossen, aber sie wusste, dass er den Schlüssel in einem Blumentopf neben der Tür in die Erde drückte. Die Werkzeuge waren ordentlich aufgehängt, Schrauben, Nägel, Muttern und Unterlegscheiben lagen in sorgfältig beschrifteten Schachteln. Sie hatte die größere der Blechscheren mitgenommen; das Gitter des Hundezwingers war massiv, und sie durfte nicht zu viel Zeit damit verlieren, es zu zerschneiden.
    Die Nacht war klar und kühl, im Unterholz raschelten Tiere, es roch nach Pilzen. Roberta nahm nicht die Straße, die zur Schreinerei führte, sie ging dem Wald entlang, obwohles ein Umweg war: Sie wollte nicht gesehen werden. Als sie aus den Bäumen auf die ungemähte Wiese hinter dem Ziegelschuppen trat, sah sie, das Dorf war menschenleer und dunkel. Niemand war unterwegs, nicht einmal auf der langen Geraden der Landstraße am anderen Seeufer waren Scheinwerfer zu erkennen. Sie hatte nichts mitgenommen aus dem Zimmer, nur Prinz’ alte Decke, den Schlafsack und die Campingmatte, selbst das gerahmte Foto hatte sie zurückgelassen. Die neuen Trekking-Stiefel knarzten bei jedem Schritt, das Gelb des Oberleders schimmerte in der Dunkelheit.
    Sie lehnte die Blechschere draußen an die Schuppenwand, während sie den Rucksack vom Dachboden holte. Mäuse flohen vor ihr, vielleicht Marder, das Geräusch der Krallen auf dem Holzboden erinnerte sie an ihre Kindheit; wenn ihr der Stiefvater befohlen hatte, Brennholz im Schopf zu holen, hatte sie dort immer erst Licht angemacht, um den Mäusen Zeit zu geben, vor ihr zu fliehen. Eine Fledermaus wischte dicht an ihrem Gesicht vorbei. Sie brauchte kein Licht, sie kannte die Treppe und den Dachboden; sie nahm sich Zeit, weil es ihr gefiel, durch den finsteren Ziegelschuppen zu gehen, Schritt um Schritt, eine Blinde, die sieht.
    Den alten Lastwagen der Schreinerei, einen Magirus Deutz, hatte Hausmanns Frau Elisabeth nach seinem Tod verkauft, doch der Lieferwagen stand hinter dem Schuppen und wartete darauf, zum Schrottplatz gebracht zu werden. Der Zweitschlüssel für den Wagen hing im Spind auf dem Dachboden. Vor ein paar Tagen hatte Roberta den Motor probehalber gestartet, und er war sofort angesprungen. Es war riskant, aber sie würde es wagen, mit dem Ford Transit zum Hundezwingerim Nachbardorf und danach ein paar Kilometer Richtung Osten zu fahren.
    Das erste Stück fuhr sie ohne Licht und im Schritttempo; erst als sie auf die Seestraße einbog, machte sie die Scheinwerfer an und beschleunigte. Der lange Schalthebel schütterte in ihrer Hand, schlug regelrecht um sich; sie meinte, den Rauch aller Zigarillos zu riechen, die Keller, der Chauffeur der Schreinerei, bei seinen Lieferfahrten geraucht hatte. Nicht ein anderes Auto begegnete ihr, kein Mensch. Die Steigung nach Birrwil hinauf nahm sie im zweiten Gang, wobei sie darauf achtete, den Motor nicht zu sehr auf Touren zu bringen. Sie hatte es nicht eilig, jetzt nicht mehr, nach all den Jahren, die verstrichen waren, seitdem sie den Wunsch das erste Mal verspürt hatte, den Wunsch, an den Ort ihrer Herkunft zurückzukehren.
    Der Zwinger lag außerhalb des Dorfes, am Ende einer Sackgasse. Von Einfamilienhäusern gesäumt,

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