Wald aus Glas: Roman (German Edition)
vielen Schreibfehler. Er machte Sprüche und Anspielungen und verwendete Abkürzungen, die sie nicht kannte und über die sie deshalb nachdenken musste. Dass er sie vermisse, schrieb er drei Mal, »ich liebe dich« ein einziges Mal. Jede SMS war mit »garschmal« unterschrieben, als schäme er sich, seinen eigenen Namen unter die kurzen Botschaften zu setzen.
Ayfer las die Texte mehrmals durch, bis sie endlich auf die Idee kam, ihm zurückzuschreiben. Die Uhr auf dem Handy zeigte 00:47, als sie ihre SMS losschickte. Zwei Minuten später traf Davors Antwort bei ihr ein.
bdi
Ich sitze in einem Zimmer am Schwarzen Meer unter einer Bettdecke, dachte Ayfer, und habe ihm geschrieben, dass ich Tag und Nacht an ihn denke und sterbe vor Sehnsucht und ihm die türkischen Sterne vom Himmel hole und jeden Wunsch von den schönsten Lippen der Welt ablese, und was schreibt er? Bdi. Brauche dich.
GRMPF
Ayfer schickte die Nachricht ab, ohne sich die Zeit zu geben, sie zu bereuen. Dann warf sie die Bettdecke von sich und tratmit dem Handy ans Fenster. Über den Hausdächern von Sile war der Himmel heller als über dem Wasser, trotzdem konnte sie den Saum des Meeres erkennen. Der weiße Strich verschob sich in unregelmäßigem Rhythmus einmal ein Stück nach vorn, dann wieder nach hinten. War es nicht einer ihrer unerfüllten Träume, einmal am Strand zu schlafen, nah am Ufer, in der Wärme eines Feuers, das hoch in den schwarzen Himmel loderte?
WAKODUWI
Wannkommstduwieder? Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme, dachte Ayfer und klickte seine Nachricht weg. Nie mehr, ich werde für immer und ewig hier in der Türkei bleiben müssen, weil mein Vater es so will. Sie warf das Handy aufs Bett und blieb am Fenster stehen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Display des Handys aufleuchtete, erlosch und aufleuchtete. Das Handy warf einen blauen Schimmer auf die Bettdecke, auf der es lag, und auf die Wand. Ayfer setzte sich aufs Bett, nahm das Handy in beide Hände und öffnete Davors SMS:
ILUVEMIDI
Sie ließ etwas Zeit verstreichen, bevor sie »Ichliebeundvermissedichauch!« zurückschrieb. Seltsamerweise hatte sie nicht das Bedürfnis, seine Stimme zu hören. Sie wollte ihn sehen, das schon, aber mit ihm an einem Handy reden, das wollte sie nicht. Außerdem durfte sie nicht riskieren, gehört zu werden. Sie telefonierte nicht gern, mit Davor sowieso nicht, sie wollte die Gesichter der Menschen sehen, mit denen sie redete, wollte sehen, was ihre Sätze bei ihnen auslöstenund wie sie aussahen und sie anblickten, wenn sie etwas behaupteten, das sie eigentlich nicht glauben wollte.
Komm back!
Sie hatte seine kurze Nachricht kaum gelesen, schon blinkte das Gerät erneut auf.
bittebittebittebittebittebittebittebitte
Es gibt nichts, was ich lieber täte, dachte sie, stand auf und setzte sich gleich wieder hin. Und warum tust du es nicht, du blöde Tussi! Ihr Spiegebild, das reglos auf der Scheibe vor ihr stand, machte ihr Angst. Sie war ein Umriss, mehr nicht, ein Schatten ohne Gesicht, ohne Augen, ohne Mund, jedoch mit einem Willen, dachte sie, nahm das Handy und schrieb Davor:
Haue morgen ab kuss
Brachte sie es fertig, das Gerät auszuschalten, ohne Davors Antwort abzuwarten? Sollte sie ihn nicht doch anrufen? Sie spürte ein Ziehen im Rücken, streckte beide Arme in die Höhe und machte die Augen zu. Ihre Mutter war dagegen gewesen, sie in die Türkei zu schicken, aber sie hatte nur stundenlang geweint und sich im Bad eingeschlossen und nichts dagegen unternommen. Ihr Bruder hatte sich dafür ausgesprochen, sie wegzuschicken, ihr Vater hatte die Beherrschung erst im Zug zum Flughafen verloren; Ayfer wusste, was das träge Blinzeln seiner Augen bedeutete, das Blinzeln, das aussah, als sei er unendlich müde: Er war traurig und vor allem enttäuscht von sich selbst, und es dauerte jeweils nicht lange, und seine Stimme wurde laut. Erst blinzelte er träge,dann versteifte sich sein Oberkörper, sein Kiefer fing an zu mahlen, er ballte die Fäuste – und schrie.
Ayfer trat vom Fenster ins Zimmer zurück. Ich haue nicht wegen Davor ab, sondern wegen mir! Ich will zurück in die Schweiz, um die Frau zu werden, die ich sein will, nicht die, die sich meine Eltern vorstellen. Sie schaltete das Handy aus, warf es aufs Bett und hob den Koffer aus dem Schrank. Zeit, sich zu überlegen, was sie auf ihrer Reise brauchte und was nicht.
13
Als Roberta ausstieg und die Autotür ins Schloss drückte, schlug der erste Hund an. Die Zwinger waren
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