Wald aus Glas: Roman (German Edition)
führte eine Schotterstraße durch ein Feld und endete auf einem Kiesparkplatz. Der niedrige Bau mit Flachdach wirkte düster, abweisend. Roberta Kienesberger machte das Licht aus, ließ den Transit auf dem knirschenden Kies ausrollen und schaltete den Motor ab.
Der Besitzer des Hundezwingers lebte nicht im Haus, sondern am anderen Ende des Ortes, Nachtwache gab es keine. Die Kameras, die das Areal sicherten, würden sie filmen, spätestens am anderen Morgen wäre aber auch ohne Videoüberwachung offensichtlich, wer einen der Käfige zerschnitten hatte, weil ja nur ein Hund fehlte: Prinz.
12
Die Belüftungsanlage ging mit dem lauten Schnauben aus, das Ayfer an ein erschöpftes Tier erinnerte, das sich seufzend hinlegt. Sie hörte, wie die Glastür zur Küche geöffnet wurde und wie jemand in den Hinterhof trat. Bestimmt der Hilfsarbeiter aus dem Iran, der Speisereste in die Blechbehälter warf. Futter für die Katzen, dachte Ayfer und wechselte das Handy von der linken in die rechte Hand. Sie lag jetzt seit fast einer halben Stunde in ihrem dunklen Zimmer auf dem Bett und brachte es noch immer nicht fertig, das Gerät einzuschalten, das sie den ganzen Abend an ihrem Körper getragen hatte, in das Bündchen ihres Schlüpfers geschoben.
Eine Weile lang hatte sie sich in ihrem Handspiegel betrachtet, als erfahre sie so, wer sie sei und was sie mit ihrem Leben anfangen solle. Ich verstehe nicht, was er in mir sieht. Wusste Davor, dass seine Augen ihr auch Angst machten? Warum hatte sie es ihm nie gesagt? Hatte sie ein schönes Lachen? Ihre Mutter hielt sich immer die Hand vor den Mund und wandte den Kopf zur Seite, wenn sie lachte, dabei hatte sie perfekte Zähne. Ihre Lippen waren schön, das wusste Ayfer. Sah man ihren Augen an, dass sie unglücklich war? Sie hatte den Spiegel ganz nahe an ihr Gesicht gehalten und sich ausgemalt, eine andere zu sehen, eine junge Frau, die tun und lassen konnte, was ihr gefiel.
Die Küchentür zum Hinterhof fiel ins Schloss, bald darauf sprang ein Automotor an. In der Stille, die sich danach ausbreitete wie etwas, das sie zu verschlingen drohte, hörte sie das Meer rauschen. Wie rasch man sich an Geräusche gewöhnte! Gerade noch hatte sie davon geträumt, Meeresrauschenzu hören, wenn sie in Suhr im Bett lag, nun sehnte sie sich nach dem Rauschen der Autobahn, das sie in ihrem Zimmer in der Schweiz hörte. Das weiße Nokia war klein und flach. Warum hatte sie Angst, es einzuschalten? Oder wollte sie die Vorfreude noch weiter steigern? Ich könnte den Mann, der mir das Handy übergeben hat, nicht einmal beschreiben, musste sie sich eingestehen, weil mir die tätowierte Rose auf der Schulter der Frau wichtiger war als sein Gesicht.
Ayfer setzte sich auf, atmete tief durch, zog die Beine an die Brust und die Bettdecke wie ein Zelt über sich. Dann schaltete sie das Handy ein. Sie wollte nicht, dass jemand die Startmelodie hörte. Auf dem Foto, das auf dem Display erschien, sah Davor aus, als sei er eben erst aufgestanden. Er blinzelte schläfrig in die Kamera, eine Hand mit aufgefächerten Fingern an der Stirn. Wo die Aufnahme gemacht worden war, konnte sie nicht erkennen; der grau-grüne Hintergrund war verschwommen. Sobald die Verbindung stand, zeigte ein greller Signalton an, dass eine SMS nach der anderen hereinkam. Es gelang ihr nicht, schnell genug auf lautlos zu stellen, weil sie sich mit dem Gerät nicht auskannte. Erst als sechs der zwölf Mitteilungen hereingekommen waren, fand sie die richtige Taste. Sollte sie erst die Nachrichten lesen oder erst im Ordner »Fotos« nachschauen, ob er weitere Bilder für sie gespeichert hatte? Davor anzurufen, traute sie sich nicht; wenn Burhan oder Yeter ihre Stimme hörte, war sie erledigt. Die Neugier auf weitere Fotos war stärker, und sie öffnete zuerst den Ordner. Davor hatte dreizehn Aufnahmen von sich für sie gespeichert. Sie klickte sich mehrmals durch den Ordner, sah ihn in die Luft springen, in einer Wiese und auf seinem Bett liegen, im Auto seines Onkels sitzen, nachdenklichoder lachend in die Kamera blicken, sah ihn mit Baseballkappe, nacktem Oberkörper und in dem T-Shirt posieren, das sie ihm auf dem Maienzug in Aarau gekauft hatte. Auf der letzten Aufnahme hatte er die Augen geschlossen, als schlafe er. Er träumt von mir, dachte Ayfer, wie ich von ihm träume. Dann las sie seine SMS. Sie kannte seinen Schreibstil von früheren Nachrichten, trotzdem verletzte sie der kalte und schnoddrige Tonfall, staunte sie über die
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