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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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ihre Hände rinnen, obwohl es sie fast verbrühte.
    Auch 1957 hatte sie sich zuerst im Bad ihres Zimmers verkrochen, weil sie sich nicht traute, zu Leopolds Zimmer hochzugehen und ihn mit ihrem unangekündigten Besuch zu überraschen, noch nicht. Sie hatte geduscht – erst viel zu heiß, dann eiskalt – und sich danach sorgfältig geschminkt und frisiert. Darüber, was sie anziehen sollte, hatte sie sich lange den Kopf zerbrochen; entschieden hatte sie sich für ein Deuxpièce in einem hellen Grau, das silbern schimmerte und dessen enggeschnittener Jupe knapp über den Knie endete, hautfarbene Seidenstrümpfe, eine rote Bluse und weiße Riemchensandalen mit Absatz, in denen sie nicht weit würde gehen können. Als sie sich endlich im Spiegel betrachtet hatte, der an der Innenseite der Schranktür hing, war ihr eingefallen, dass Leopold die Pension vielleicht verlassen hatte, um irgendwo etwas zu essen, seit sie ihr Zimmer bezogen hatte. Sie war die drei Treppen zu seinem Zimmer gelaufenund hatte erst wieder zu Atem kommen müssen, als sie vor seiner Tür stand. Das Flurlicht war mit einem scharfen Klicken ausgegangen, und sie hatte in der Dunkelheit auf die unterschiedlichen Geräusche geachtet, die aus den verschiedenen Zimmern zu hören gewesen waren. Unter den Zimmertüren waren schmale Lichtbalken zu sehen gewesen, die ein regelmäßiges Muster auf den Steinboden des Flures zeichneten. Wie die Landepiste für ein Flugzeug, das erwartet wird, hatte sie gedacht, dabei hat Leopold keine Ahnung, dass ich hier stehe! Sie hatte Musik gehört, eindeutig aus einem anderen Zimmer, Männerhusten, Rauschen von Wasser, Schritte und Lachen im Stiegenhaus. Hinter Leopolds Tür hatten sich ein Mann und eine Frau unterhalten, aufgekratzt, fröhlich. Hatte er ihr geschrieben, in seinem Zimmer stehe ein Fernseher? Bestimmt hörte er Radio. Sie hatte sich nicht die Zeit gegeben, herauszuhören, ob die Männerstimme, die der Frau lachend ins Wort fiel, nicht doch seine Stimme war. Sie hatte sich geräuspert und dann entschieden gegen die Tür geklopft. Sein Gesicht hatte alles verraten, sofort, sie hatte gar nicht gewusst, dass sie ihn so gut kannte, um alles, wirklich alles in seinem Ausdruck ablesen zu können, sie kannten sich doch noch nicht so lange, er war überrascht gewesen, das auch, aber in erster Linie war er ertappt worden, sein Gesicht hatte seinen Verrat preisgegeben. Die blonde Frau, die von hinten an ihn herantrat und ihm eine Hand mit lackierten Fingernägeln auf die Brust legte, trug BH, Strümpfe und Strumpfgürtel, ihr Haar war zerzaust. Roberta war bereits auf der Treppe gewesen, als sie hörte, wie seine Zimmertür ins Schloss fiel. Die Frau war ihr nachgelaufen, in Strümpfen, er nicht, das war die schlimmste Demütigung gewesen, die Frau! Aufder Treppe hatte sie Roberta eingeholt und ihr erklärt, sie sei seit einem halben Jahr mit Leopold verlobt, im März werde sie ihn heiraten, hier in Innsbruck. Roberta war sofort in ein anderes Hotel umgezogen, am nächsten Tag war sie in die Schweiz weitergereist.
    Prinz lag zusammengerollt auf seinen Decken und schlief. In einigen Fenstern des gegenüberliegenden Hauses brannte Licht; Roberta sah die zwei Frauen an einem Küchentisch sitzen und in Zeitungen blättern, im Küchenfenster darüber starrte ein Mann ins Leere, ein Weinglas vor sich. Sie genügen sich selbst nicht, dachte Roberta und ließ sich auf den einzigen Stuhl des Zimmers sinken, oder sie haben, was für ein Elend, genug von sich selbst. Dem bin ich entgangen, weil ich mich auf den Weg gemacht habe. Roberta geriet außer Atem, so mühselig und anstrengend war es, die Socken auszuziehen. Ihre Füße waren weiß und aufgeschwollen, die Fersen gerötet. Früher war sie auf ihre Füße und Zehen stolz gewesen, nun schämte sie sich für sie. Die Zehen waren unförmig; die Nägel, gelb verfärbt und verwachsen, erinnerten sie an Vogelklauen, an Papageienschnäbel. Sie nahm eine Magnesiumtablette und zwei Kalziumkapseln, zog sich bis auf die Stützstrumpfhosen aus, verkroch sich im Bett und fing an, sich ihre schmerzenden Beine zu massieren. Die auskühlende Heizsonne tickte, sonst war es sehr still in der Pension. Der Lichtbalken unter der Tür zum Gang ließ sie an die Stimme ihres Stiefvaters Johann in der Küche im unteren Stock denken und an die Atemgeräusche ihrer vier Schwestern, mit denen sie die Kammer unter dem Satteldach geteilt hatte. Das Prasseln der Regentropfen auf den Ziegeln über ihrem

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