Wald aus Glas: Roman (German Edition)
Bank war eine Feuerstelleaus Ziegelsteinen aufgebaut, die wahrscheinlich noch vor kurzem benutzt worden war, denn sie roch nach Rauch und verbranntem Plastik. Vor der Feuerstelle lag ein Stein, rund und glatt wie eine Bowlingkugel. Sie setzten sich und hörten dem Rauschen des Verkehrs zu und der Musik, die aus den offenen Fenstern der Restaurantküche drang.
Ayfer sah schweigend zu, wie Annika ein Blechdöschen aus der Tasche ihrer Jeans zog und auf die Bank legte. Es war angenehm warm. Der Wind, der aufgekommen war, während sie über den Parkplatz gegangen waren, ohne sich um die Sprüche der Fahrer zu kümmern, die vor ihren Lastzügen standen, redeten, Bier tranken und rauchten, der Wind, der Ayfer die Haare in die Stirn wehte, strich durch die Brennnesseln und drückte eine Schneise hinein, die sich sofort wieder schloss. Annika öffnete das Döschen und nahm einen kleinen grünen Klumpen heraus.
»Von einem Freund aus Istanbul«, sagte sie.
»Du hast Freunde in Istanbul?«
»Du nicht?«
Ayfer schüttelte den Kopf und nahm die vier Zigarettenpapierchen, die Annika ihr entgegenstreckte, in die Hand. Sie knisterten. Auf dem Dach des Bretterverschlages lag der Rahmen eines Fahrrades, sah Ayfer jetzt, der Sattel steckte auf einem Metallrohr, das vor der Tür wie eine Kunstinstallation in die Erde gerammt war. Annikas Plastikfeuerzeug brannte erst beim dritten Versuch, sie hielt das Haschisch zwischen Zeigefinger und Daumen über die Flamme, drehte es vorsichtig hin und her und fing an, Bröckchen in den Deckel des Blechdöschens zu bröseln. Da verschwand die Lichtbahn, die einen Teil des Brennnesselmeeres beleuchtethatte, und sie saßen im Dunkeln; die Lampe über der Lieferantenrampe war ausgeschaltet worden.
»Wo wohnst du, wenn du zurück bist?«
»Bei Davor natürlich.«
Davor teilte das Zimmer mit seinem jüngeren Bruder und schlief wie ein Junge in einem Kajütenbett; Ayfer war nur einmal in der engen, mit Möbeln vollgestellten Wohnung im achten Stock des Hochhauses am Buhaldenweg gewesen. Seine Eltern hatten sie herablassend behandelt, kaum mit ihr geredet und ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie eine Muslimin als Freundin für ihren ältesten Sohn nicht akzeptierten. Der Geruch des erhitzten Haschischs stieg Ayfer in die Nase und löste ein unerklärliches Bild in ihr aus: sie fiel mit ausgestreckten Armen rücklings in ein wogendes Weizenfeld, nackt, mit kurzgeschnittenen Haaren, federleicht.
»Jungs sind Missgeburten«, sagte Annika, nahm zwei Zigarettenpapierchen, befeuchtete eines mit der Zunge und klebte sie zusammen.
»Davor ist keine Missgeburt.«
»Garantiert. Du wirst schon sehen. Warum rufst du ihn eigentlich nicht öfter an?«
»Darum! Wie sind deine Großeltern?«
»Meine Großmutter ist eine böse alte Frau«, sagte Annika ungerührt, »sie stinkt und beschwert sich den ganzen Tag über das Wetter oder den Fraß im Altenheim.«
»Und dein Großvater?«
»Der ist zum Glück tot.«
»Und die anderen Großeltern?«, fragte Ayfer.
»Kannst du mich nicht in Ruhe lassen mit deinem Familienscheiß?«
Der Mann, der aus den Brennnesseln trat, als könnten sie ihm nichts anhaben, war etwa im Alter von Annikas Vater. Er trug eine Lederjacke und gescheckte Tarnhosen wie Davors Kumpel Blagomir, der nicht aufhören konnte, vom Militär zu reden und bei jeder Gelegenheit mit seinen Messern angab. Der Mann hatte sich die Haare nach hinten gekämmt; er roch nach Knoblauch und Bier, wie Ayfer feststellte, als er vor ihnen stehenblieb. Seine Brust war breit, seine linke Hand einbandagiert.
»Do you speak english?«, fragte er mit starkem Akzent.
»Und Sie?«, gab Annika zurück.
»Was ihr raucht da, das ist verboten.«
Sein Deutsch klang, als mache er sich lustig darüber. Die Nägel seiner einbandagierten Hand waren gelb verfärbt, die Fingerglieder beider Hände mit schwarzen Sternchen tätowiert.
»Geht Sie das was an?«
Annika schüttete die abgelösten Haschischbröckchen in die Blechdose, drückte den Deckel darauf und stand auf.
»Bei uns ist das verboten, Schätzchen«, sagte der Mann, gab ihr mit der gesunden Hand einen Stoß vor die Brust und schubste sie auf die Bank zurück.
Das süßliche Parfum des Mannes verursachte Ayfer Brechreiz, sie trat einen Schritt zur Seite, weg von ihm und der Wut, die er plötzlich ausstrahlte. Er beugte sich nach vorn und legte Annika die Hand an die Wange. Annika hat Angst, stellte Ayfer erschrocken fest. Es ist bereits passiert,
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