Wald-Schrat
jede Grundlage für ein Verständnis fehlte. Vielleicht beschützte Nimby seine Chlorine vor anderen Drachen; allerdings sah er nicht besonders wehrhaft aus. Oder vielleicht fühlte sich solch große Schönheit von ebenso großer Hässlichkeit angezogen.
Chlorine richtete sich auf und sah Forrest an. »Setz dich hinter mich«, bat sie ihn. »Wir bringen dich über die Schlucht.«
Forrest blickte in die drohend klaffende Tiefe hinab. »Ja, und wie?«
Sie lächelte, und die Umgebung erhellte sich. »Das wirst du schon sehen.«
Also trat Forrest neben den Drachen und kletterte auf seinen Rücken. Sein Sitzplatz indes erschien ihm sehr unsicher: Gleich hinter ihm waren die kleinen Flügel des Drachen, und vor ihm befand sich Chlorines bemerkenswert konturierte Rückseite.
»Leg die Arme um mich«, sagte sie, »und halt dich gut fest.«
»Aber…«
Sie griff nach hinten, packte ihn bei den Handgelenken und zog sie vor, bis seine Hände sie an der schmalen Taille berührten. Er verschränkte seine Finger. Sein Gesicht tauchte fast in ihr wogendes Haar, das nach frischem Heu duftete.
Der Drache stürmte unmittelbar auf die Kluft zu. Sein Kopf senkte sich in den Abgrund und verschwand außer Sicht, dann umbog sein ganzer Leib die Kante. Sie stürzten senkrecht nach unten in die Schlucht!
Der Himmel schien sich zu drehen, als die Orientierung wechselte. Entsetzt klammerte sich Forrest eng an Chlorine fest, denn er fürchtete, auf dem Grund der Spalte aufzuschlagen.
Doch das geschah nicht. Er presste sich eng gegen ihren wohlgeformten Rücken, seine Lenden lagen an ihren vollen Hüften, sein Gesicht steckte in ihrem duftenden Haar – und sie fielen gar nicht. Statt dessen bewegten sie sich die senkrechte Wand hinunter, als ritten sie über ebenen Boden. Chlorines Frisur war nicht einmal außer Form geraten.
»Macht’s gut!«, rief Sean ihnen winkend nach. Er schwebte neben ihnen, aber in einem anderen Winkel, denn für ihn war unten nach wie vor unten.
»War nett, dich kennen zu lernen«, sagte Gerte. Sie flog ähnlich; ihre Flügel schlugen sanft und regelmäßig. Forrest spürte den Luftzug und wusste, dass es abwärts ging, ihm aber kam es vor wie Gegenwind. Er war irgendwie am Steilhang verankert, und der war zu seinem Erdboden geworden. Die Erfahrung war eigenartig, aber nicht unangenehm.
»Du kannst dich entspannen«, sagte Chlorine.
Oh. Er löste seine panische Umklammerung. Es war wirklich nicht erforderlich, dass er sie totquetschte.
Sean und Gerte winkten noch einmal, dann flogen sie davon. Forrest hörte ein Kläffen von Woofer, der ihnen auf der anderen Seite der Schlucht am Boden folgte.
»Vielen Dank!«, rief Forrest ihnen hinterher, als ihm seine Manieren wieder einfielen. »Und euch auch«, wandte er sich an Frau und Drache.
»Das tun wir ständig«, entgegnete Chlorine. »Nimby und ich haben viel Glück, das wir mit anderen teilen, wenn sie es verdient haben.«
»Aber ich versuche doch nur, dem Nachbarbaum zu helfen. Das ist nichts Besonderes.«
»O doch, es ist großzügig und nett«, sagte sie, »und dadurch, dass du es nicht für erwähnenswert hältst, beweist du Anstand und Bescheidenheit. Solchen Personen helfen wir gern.«
Forrest wurde immer neugieriger auf sie und den Drachen. »Darf ich fragen…«
»… was es mit Dame und Eselsdrache auf sich hat?«, beendete sie den Satz für ihn. »Nun, eigentlich bin ich ein langweiliges, unscheinbares, gleichgültiges Mädchen ohne besonderes Talent. Aber Nimby macht mich schön, klug, gesund und freundlich, und nun leben wir im Schloss ohne Namen, wo eine gewaltige Dienerschaft uns jeden Wunsch von den Augen abliest. Jeden Monat begeben wir uns auf eine Rundreise durch Xanth, suchen nach guten Taten und lassen auf diese Weise andere, wenngleich geringfügig, an unserem Glück teilhaben.«
»Ein Drache, der in einem Schloss lebt?«
Sie lachte. Seine Hände, die er über ihrem weichen, aber festen Bauch verschränkt hatte, brachte sie damit zum Beben. »Ach, Nimby verwandelt sich dann in einen gutaussehenden Prinzen, denn in Drachengestalt passt er durch viele Gänge nicht. Und obwohl ich ihn in jeder Gestalt liebe, bevorzuge ich es doch, wenn er als Mann zu mir ins Bett kommt. Dann ist er kuscheliger, weißt du.«
Sie glaubte, der Drache konnte sich in einen Mann verwandeln? Das musste sie sich einbilden, denn jedes Geschöpf in Xanth hatte nur ein magisches Talent, das wusste jeder, und Nimbys Talent bestand offenkundig darin,
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