Wald
Wald betreten hat. Er betrachtet sein geschundenes Gesicht in der Spiegelung auf dem Eis. Blut tropft von seiner Stirn, die Wangen sind verkrustet von Dreck, doch es ist ihm, als könne er sich so klar sehen wie noch nie zuvor in seinem Leben. Dann wird er ohnmächtig.
»Ich bin der Drache!«
Sidus ist wieder zu sich gekommen, ist von dem See herunter gekrochen, und schreit mit wedelndem Schwert in den Wald hinein.
»ICH BIN DER DRACHE!«
Sein Kopf ist rot wie Feuer. Man könnte nicht mehr sagen, was davon dem getrockneten Blute zuzuordnen ist, und welchen Anteil seine Brüllen daran hat.
»ICH BIN DER DRACHE!«
Die Klinge erhebt Sidus über seinen Kopf. Dann beruhigt er sich mit einem Mal, lässt die Waffe herniedersinken und lacht. Vor ihm, einige Fuß entfernt, hat er eine schwarze Gestalt bemerkt, die zwischen Bäumen hervor tritt. Es ist als hätte er sie schon erwartet. Als die Erscheinung die Kapuze ihres düsteren Gewandes zurückzieht, lacht Sidus noch mehr. Unter dem Stoff kommt sein Doppelgänger zum Vorschein.
»Du armer Krieger.«
Sidus sitzt mit den Knien im Schnee und spielt Drachenjagd. In der einen Hand hält er einen Stein, der das Monster darstellt, in der anderen einen Ast, dieser ist der Ritter. Unter obskuren Knacklauten, die Kampfgeräusche darstellen sollen, lässt er die beiden Kontrahenten aufeinander los.
Hinter Sidus steht, wie ein Reptil den Körper krümmend, sein Spiegelbild und säuselt ihm ins Ohr.
»Du hast es nicht leicht, mit diesem Nichtsnutz von Bruder.«
Der Ritter unternimmt eine zweite Angriffswelle. Der Drache fällt und Sidus lässt seinen Ritter jauchzen. Doch dann bäumt sich das steinerne Biest wieder auf.
»Wusstest Du, dass er sogar plant, Dich umzubringen?«
Der Krieger hält inne. Die Schlangenbrut erhebt sich nun in ihrer vollen majestätischen Größe – Sidus lässt hierzu den Stein über dem Boden schweben, damit er an Höhe gewinnt – und spannt seine Flügel aus.
»Während Du hier sitzt und Kinderspiele spielst, plant Envin Dich hinterrücks zu ermorden.«
Sidus ertränkt seine beiden Spielfiguren im Schnee und sieht auf.
»Na, hast Du Angst bekommen Krieger?«
Sidus atmet schnell und unregelmäßig.
»Vor Deinem Bruder fürchtest Du dich?«
Sidus schüttelt unentschlossen den Kopf.
»Mach Dir keine Sorgen, ich werde Dir helfen.«
Die schwarze Gestalt beugt sich zu Sidus hinab, ergreift dessen linke Hand und führt sie an den Dolch, den Sidus im Gürtel stecken hat.
»Damit wirst Du ihn töten. Diese Waffe sollst Du ihm ins Herz bohren und er wird erkennen, was es bedeutet, den Bruder zu verleugnen.«
Die Gestalt erhebt sich und thront wieder über dem müden Ritter.
»Du würdest so etwas niemals machen. Feige den eigenen Bruder anzugreifen. Nein. Du weißt, was sich gehört. Deshalb wirst Du auch abwarten, bis er zuerst auf dich losgeht. Wirst ihn in Sicherheit wiegen und ihn ein wenig toben lassen. Von unserem kleinen gemeinen Plan und von dem Dolch wirst Du ihm nichts erzählen. Dann, wenn er genug gewütet hat, und seine Kräfte ihn verlassen, wirst Du ihn zurechtweisen, wirst die Klinge gegen den Verräter erheben, und er wird einsehen, dass Du allein im Recht bist. Dass Du zurecht über ihn geherrscht hast, da er unwürdig ist. Und im Sterben wird er Dir huldigen.«
Sidus' Miene erhellt sich. Ein zusammengezogenes Grinsen legt sich breit über sein Gesicht. Er zieht den Dolch aus der Scheide, hebt ihn sich direkt vor die Augen und starrt ihn garstig schielend an.
»Genug. Ergötze Dich nicht zu lange an dem Schein der Klinge.«
Sidus steckt den Dolch in seinen Stiefel.
»Du musst aufbrechen. Ziehe zur Höhle des Drachen und warte dort auf deinen Bruder. Gehe nun, Dein Ziel, ist nur wenige Tagesmärsche bergaufwärts zu finden. Sorge Dich um nichts, ich werde immer in Deiner Nähe bleiben, selbst wenn Du mich nicht siehst.«
»Die See lacht«
Am Morgen des Tages, an dem der Himmel bluten wird, scheint die Sonne. In einer Handelsmetropole, in einer schummrigen Spelunke, treffen sich eine handvoll Verschwörer, um über die Absetzung ihres Herrschers zu debattieren. Einer von ihnen hört auf den Namen Orso und ist als Schatzmeister eingesetzt.
In einer anderen Stadt, in einer anderen Burg, bricht eine junge, traurige Komtess ohne Erlaubnis in eine Waffenkammer ein, und geht mit reicher Beute davon.
In einem verwunschenen Wald hütet ein wackerer Krieger eine Höhle und eine dazugehörende Sammlung menschlicher
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