Wald
werden, und bis ihnen die Hoden abfallen und die Busen platzen. Sie lacht über all das Elend in der Welt. Über Sidus und über Svetopluk. Und über sich selbst.
Der Narr packt das Mädchen am Arm und zerrt sie hinter sich her. Als sie in der Dunkelheit verschwinden, hält Llyle inne. Stille. Die Angst nimmt wieder von ihr besitzt. Angst vor dem Alleinsein.
Allein und schutzlos in der Dunkelheit.
Wieder steht sie angewurzelt da, ohne sich zu bewegen. Irgendwann schmeckt sie einen salzigen Geschmack an ihrem Mund. Eine Träne rollt ihr Gesicht herunter. Eine Träne für die Dienstmagd – und für sich selbst.
»Dem Schmerze verschrieben«
Envin erwacht, als der Schnee in seiner Hand schmilzt.
Irgendwann in der Nacht hat er bemerkt, dass er das brennende Auge vorübergehend beruhigen kann, wenn er es kühlt. Die Schmerzen ließen tatsächlich nach und er konnte ein wenig Schlaf finden. Nun ist sein Kopf wie eingefroren. Er spuckt den Ast aus, der noch immer zwischen seinen Mundwinkeln hängt, und auf den er gebissen hat, um die Qualen zu überstehen.
Auch ist sein gesamter Körper unterkühlt, was ihm erst jetzt auffällt, da er keine Pein mehr verspürt. Envin öffnet vorsichtig die Augen und spürt im selben Moment, dass dies ein Fehler war. Als die Augenlider aufgehen, fühlt es sich an als würde eine Wunde aufgerissen werden. Sofort hat er das Gefühl, als würden lange Nadeln in sein Auge gebohrt. Diese Empfindung bleibt. Er schließt die Augen und schreit.
Vorsichtig versucht Envin das linke, gesunde, Auge zu öffnen, aber vergeblich. Sobald sich die linken Lider bewegen, zucken die rechten mit und verschlimmern die Schmerzen.
Envin richtet sich auf, kriecht auf allen Vieren wie ein Hund und tastet nach dem Holz, um wieder darauf zu beißen. Dann schaufelt er eine Handvoll Schnee und presst sie sich über den Schmerzherd. Seine Situation bessert sich für einen flüchtigen Moment, doch irgendwann merkt er, dass er die Kühlung des Kopfes dosieren muss, damit sein Schädel nicht wegen der Kälte platzt.
Er lässt die Hand absinken und wartet. Während sein Haupt wieder klar wird, meldet sich das Brennen zurück. Wie ein verzerrendes Feuer entfacht sich die Glut auf seinem Augapfel. Wieder muss Envin mit Schnee kühlen. Doch die Wirkung der Kühlung lässt bei wiederholter Anwendung nach. Abermals diese furchtbaren Schmerzen, die alles bei Weitem übertreffen, was Envin in seinem jungen Leben an Schlechtem, Scheußlichem und Schmerzhaftem widerfahren ist. Ist das bereits die Vorstufe zum Tod?
Envin richtet sich mühsam auf. Für den Bruchteil einer Sekunde reißt er sein gesundes Auge auf, um sich einen Überblick über seinen Standort zu verschaffen. Sofort schließt er es wieder.
Schmerzen!
Die Nadeln bohren sich tiefer in sein Auge! Die Qualen am kleinsten Teil seines Körpers lähmen den gesamten restlichen Krieger. Er muss seine Kräfte erneut sammeln, doch wenigstens hat er gesehen, wo er sich befindet. Schritt für Schritt setzt er sich in Bewegung, beide Arme ausgestreckt und in die Luft tastend um mögliche Hindernisse auszumachen. Das fühlt sich komisch an. Er ist das nicht gewohnt – diese Blindheit.
Tatsächlich knallt er einmal beinahe an einen Baum. Von Neuem öffnet er ein Auge, um sich zu orientieren. Wieder die Nadeln! Envin geht weiter. Hauptsache er kommt an. Kurz vor seinem Ziel öffnet er ein letztes Mal das Auge. Dann, als er sich erneut gefangen hat, legt er sich in das Erdloch. Mit den Händen tastet er um sich, schaufelt Schnee zur Seite, reißt Äste eines Nadelbaums aus, mit denen er sich zudeckt, und rollt seinen Körper zusammen.
Die Zeit vergeht. Wie lange er schon dort in dem Loch liegt, das weiß Envin nicht. Die Tage zählt er nicht mehr. Wie auch, er weiß nicht einmal, ob es Tag oder Nacht ist. Blind. Er wartet auf den Tod. Doch der Tod lässt auf sich warten. Nur die Qualen bleiben. Envin muss aufhören, den Schnee zu essen. Damit er wenigstens bald verdurstet, wenn schon die Schmerzen es nicht vermögen ihn gänzlich zu töten. Nur ihn zu lähmen – das vermögen sie, und ihm die Sinne zu rauben – ebenso wie den Willen zu leben und zu überleben.
Schmerzen. Unsägliche Schmerzen. Der Schmerz ist der Mittelpunkt des Weltalls, und alles Lebende, alles Kriechende, Gehende und Fliegende, ist ihm untergeordnet – ja, es verblasst ins Nichts unter dem Schirm des Schmerzes. Wer braucht noch Arme, Hände oder Beine, wenn er den Schmerz hat? Der Schmerz
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