Walden Ein Leben mit der Natur
außen in Blättern ausdrückt, wenn sie von diesem Gedanken so bis ins Innerste durchdrungen ist. Ihre Atome haben dieses Gesetz bereits gelernt und tragen seinen Samen in sich. Das darüberhängende Blatt hat hier seinen Prototyp vor Augen. Im Inneren, ob im Erdball oder dem tierischen Körper, ist es ein feuchter, dicker Lappen, ein Wort, das besonders Leber, Lunge und Fett bezeichnet
labor,
lapsus, gleiten, fließen oder ablaufen;
globus, lobus,
Globus, Lappen, Klappe, etc.); äußerlich ein trockenes dünnes Blatt, bei dem sogar das feuchte p zum trockenen t gepreßt worden ist. Der Stamm von Lappen ist Ip, die weiche Masse des p mit dem flüssigen l , das es nach vorn schiebt. Globus hat gl , dessen gutturales g mit Hilfe des Rachenraumes die Bedeutung des Wortes bereichert. Auch die Federn und Flügel der Vögel sind nichts anderes als trockene dünne Blätter. So verwandelst auch du dich aus der plumpen Larve in der Erde zum luftigen, flatternden Schmet terling. Der Erdball selbst wandelt und übertrifft sich ständig und wird in seinem Lauf
-2 9 0 -
beflügelt. Auch das Eis bildet anfangs zarte, kristalline Blätter, als sei es in Formen geflossen, die die Farne der
Wasserpflanzen dem wäßrigen Spiegel einprägen. Auch der ganze Baum ist nur ein Blatt, und Flüsse und noch
ausgedehntere Blätter, deren Fleisch die dazwischenliegende Erde bildet, während die Städte und Städtchen die Insekteneier in den Winkeln ihrer Blattadern darstellen.
Wenn die Sonne sinkt, dann hört der Sand auf zu fließen, aber schon am nächsten Morgen fluten die Ströme aufs neue und verzweigen sich in zahllose Äste. Vielleicht kann man dann ersehen, wie sich Blutgefäße bilden. Sieht man genauer hin, dann bemerkt man, daß aus der auftauenden Masse zunächst ein Strom weichen Sandes hervorbricht, der sich in die Form eines Tropfens wie die Spitze eines Fingers langsam und blind abwärts tastet. Je höher die Sonne steigt, desto mehr erwärmt sich der feuchte Sand, bis schließlich sein flüssigster Teil in dem Bestreben, einem Naturgesetz zu gehorchen, dem auch der Schwerfälligste unterworfen ist, sich vom Hauptstrom löst und selbst eine Rinne oder Ader innerhalb des Ganzen bildet, in der wieder ein kleiner silbriger Strom zu sehen ist, der blitzartig von einem der breiigen Blätter und Zweige zum anderen hinüberspringt und immer wieder vom Sande
aufgesaugt wird. Es ist erstaunlich, wie rasch und dennoch vollendet der Sand sich im Fließen formt, indem er das beste Material, das in seiner Masse enthalten ist, dazu benutzt, den scharfen Rand der Rinne zu formen. So bilden »ich die Quellen der Flüsse. Die kieselsauren Absonderungen des Wassers sind möglicherweise der Knochenbau und die feineren
Erdsedimente und organischen Stoffe das Zellgewebe oder die Fleischfaser. Was ist denn der Mensch anderes als eine
auftauende Lehmmasse? Die Fingerbeere ist ein
fleischgewordener Tropfen. Die Finger und Zehen sind die Ausläufer der auftauenden Körpermasse. Wer weiß, wie sich der menschliche Körper unter einem freundlicheren Himmel ausdehnen und entfalten würde? Gleicht die Hand nicht einem ausgebreiteten Palmblatt mit seinen Lappen und Adern? Das Ohr könnte man mit seinem »Läppchen« oder Tropfen mit
-2 9 1 -
einiger Phantasie als einen Pilz umbilicaria zu beiden Seiten des Kopfes ansprechen; die Lippen - labium von labor (?) - als Lappen oder Lappungen am Eingang der Mundhöhle. Die Nase ist offensichtlich ein fleischgewordener Tropfen, ein Stalaktit; das Kinn ein noch größerer Tropfen, zu dem das Gesicht
zusammenfließt. Die Wangen sind ein Abgleiten der Stirn in das Tal des Gesichts, aufgefangen und verteilt von den
Backenknochen. Jedes abgerundete Läppchen eines
Pflanzenblattes ist ein dicker, träge gewordener, größerer oder kleinerer Tropfen. Die Läppchen sind die Finger des Blattes; und so viele Läppchen es hat, in so viele Richtungen ist es bestrebt, sich auszudehnen. Mehr Wärme oder andere günstige Einflüsse würden es veranlaßt haben, sich noch weiter
auszudehnen.
So schien mir dieser eine Abhang das Prinzip aller
Naturvorgänge zu veranschaulichen. Der Schöpfer dieser Erde hat nicht mehr als ein Blatt patentiert. Welcher
Altertumsforscher wird uns diese Hieroglyphe entziffern, damit wir schließlich ein neues Blatt umwenden können? Diese
Naturerscheinung scheint mir belebender als die üppige
Fruchtbarkeit der Weingärten. Allerdings, es hat dem Charakter nach etwas
Weitere Kostenlose Bücher