Walden Ein Leben mit der Natur
Solange sich meine Mitbürger und Mitbürgerinnen alle so ausgiebig dem Wohle ihrer Nächsten widmen, glaube ich, daß es wenigstens einem erlaubt sein dürfte, sich mit den übrigen, weniger mildtätigen Aufgaben zu beschäftigen. Für Wohltätigkeit muß man genau wie für alles
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andere eine Begabung mitbringen; Gutes tun ist indes eine jener Professionen, die zur Zeit überfüllt sind. Außerdem habe ich es ehrlich versucht, und, so sonderbar es klingen mag, ich gebe mich damit zufrieden, daß es meiner Veranlagung nicht entspricht. Wahrscheinlich würde ich nicht bewußt und
vorsätzlich meiner ureigenen Berufung entsagen, um Gutes zu tun, wie es die Gesellschaft von mir verlangt, selbst wenn es gälte, das Universum vor der Vernichtung zu retten; und ich glaube, daß eine ähnliche, aber unendlich größere
Standhaftigkeit an anderer Stelle alles ist, was es gegenwärtig davor bewahrt. Doch liegt es mir fern, mich zwischen einen Mensch und seine Berufung zu drängen. Dem aber, der diese Tätigkeit, die ich für mich persönlich ablehne, mit ganzem Herzen und ganzer Seele ausübt, möchte ich zurufen: Halte durch, auch wenn die Welt dein Werk in den Schmutz zieht, was sie höchstwahrscheinlich tun wird.
Ich bin weit davon entfernt, meinen Fall als einen Sonderfall zu betrachten, und überzeugt, daß viele meiner Leser sich in ähnlicher Weise rechtfertigen würden wie ich. "Wenn es darum geht, etwas zu tun - ob meine Nachbarn es nun für gut erklären oder nicht -, so kann ich ohne Umschweife behaupten, daß ich ein kapitaler Bursche bin, doch das zu beurteilen überlasse ich meinem Arbeitgeber. Was ich Gutes tue, im üblichen Sinne des Wortes, sollte ganz unbeabsichtigt und abseits von meinem eigentlichen Lebensweg geschehen. Die Menschen sagen
gewöhnlich: Fange an, wo du bist und wie du bist, strebe nicht zu hoch hinaus und gehe mit vorsätzlicher Freundlichkeit daran, Gutes zu tun. Wenn es mir überhaupt läge, derlei zu predigen, würde ich viel eher sagen: Sei einfach gut! Als ob die Sonne, nachdem sie ihre Feuer bis zum Glanz eines Mondes oder
Sterns sechster Größe entfacht hat, plötzlich innehalten wollte, um wie Robin Goodfellow, der Puck, herumzulaufen, in jedes Hüttenfenster zu gucken, Mondsüchtige anzulocken und
Fleisch zu verderben; sie würde die Dunkelheit sichtbar machen, anstatt ihre wohltuende Wärme stetig zu vermehren, bis sie so hell ist, daß kein Sterblicher ihr ins Antlitz schauen kann, und in der Zwischenzeit umrundet sie die Welt in ihrer
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eigenen Bahn und tut Gutes, das heißt vielmehr, wie eine wahrere Philosophie erkannt hat, sie wird von der Welt
umrundet, der sie gut tut. Als Phaeton, um seine göttliche Abstammung durch Wohltätigkeit zu beweisen, für nur einen Tag den Sonnenwagen lenkte und den vielbefahrenen Weg
verließ, verbrannte er mehrere Häuserreihen in den unteren Himmelsstraßen, versengte die Oberfläche der Erde, trocknete alle Quellen aus und erschuf die große Wüste Sahara, bis Jupiter ihn schließlich mit einem Blitzschlag kopfüber auf die Erde schleuderte, worauf die Sonne, tief betrübt über seinen Tod, ein Jahr lang nicht mehr scheinen wollte.
Nichts hat einen so schlechten Beigeschmack wie falsche Güte.
Sie ist anrüchig für den Menschen wie für Gott. Wenn ich mit Bestimmtheit wüßte, daß jemand in der bewußten Absicht zu mir kommt, mir Gutes zu tun, ich würde aus Angst, etwas von diesem Virus könnte sich meinem Blut mitteilen, davonlaufen wie vor dem Samum, dem heißen, trockenen Wind der
afrikanischen Wüsten, der Mund, Nase, Ohren und Augen mit Sand füllt, bis man an ihm erstickt. Nein, lieber würde ich auf natürlichem Weg das Böse hinnehmen. In meinen Augen ist ein Mensch noch nicht gut, weil er mir zu essen gibt, wenn ich hungrig bin, mich wärmt, wenn ich friere, oder mich aus dem Graben zieht, falls ich in einen hineinfallen sollte (ich kenne einen Neufundländer, der das gleiche täte). Philanthropie ist nicht Nächstenliebe im weitesten Sinne. John Howard war auf dem Gebiet seiner Gefängnisreformen zweifellos ein äußerst freundlicher und ehrenwerter Mann und wird zu Recht gerühmt; doch, zieht man den Vergleich, was nützen uns hundert Howards, wenn ihre Philanthropie uns auf unserem eigenen Grundstück nicht weiterhilft, wo wir die Hilfe doch am meisten verdient hätten? Ich
habe noch nie von einer
Wohltätigkeitsveranstaltung gehört, auf der jemand
vorgeschlagen hätte, mir oder meinesgleichen
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