Walden Ein Leben mit der Natur
etwas Gutes zu tun.
Die Jesuiten waren von den Indianern, die auch am Marterpfahl noch ihren Peinigern neue Foltermethoden vorschlugen,
schwer enttäuscht. Da die Indianer aber über physische
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Schmerzen erhaben waren, konnte es leicht vorkommen, daß sie auch über die Tröstungen erhaben waren, die ihnen die Missionare anzubieten hatten. Und die Regel, so zu handeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte, fand bei
ihnen, denen es gleichgültig war, wie man mit ihnen verfuhr, taube Ohren. Sie liebten ihre Feinde auf neue Art und waren nahe daran, alles, was sie ihnen antaten, bereitwillig zu vergeben.
Sei dessen sicher, daß du den Armen auch wirklich die Hilfe gibst, deren sie am nötigsten bedürfen, denn es mag dein Beispiel sein, das den Abstand zwischen dir und ihnen
vergrößert! Gibst du Geld, dann verschenke dich selbst damit, wirf es ihnen nicht einfach hin. Wir begehen manchmal
sonderbare Irrtümer. Oft ist der Arme weniger hungrig und erfroren als schmutzig, zerlumpt und roh. Es ist zum Teil sein Geschmack, nicht sein Unglück. Wenn man ihm Geld gibt,
schafft er sich damit vielleicht nur noch mehr Lumpen an. Ich bedauerte für gewöhnlich die vierschrötigen irischen Arbeiter, die in ihrem ärmlichen, zerlumpten Aufzug das Eis auf dem See schnitten, während ich in meinen ordentlichen, etwas
eleganteren Kleidern fror. Bis einmal einer an einem bitterkalten Tag ins Wasser fiel und in mein Haus kam, um sich
aufzuwärmen. Da sah ich, daß er drei Hosen und zwei paar Strümpfe ablegte, ehe seine Haut zum Vorschein kam. Sie waren freilich schmutzig und zerrissen genug, doch auf die Überkleider, die ich ihm anbot, konnte er verzichten, wo er doch so viele Unterkleider besaß. Das unfreiwillige Bad war genau das, dessen er dringend bedurft hatte. Danach begann ich mich selbst zu bedauern und einzusehen, daß es eine größere Wohltat "war, mich mit einem Flanellhemd zu bedenken als ihn mit einem ganzen Konfektionsladen. Es kommen tausend, die an den Ästen des Übels hacken, auf einen, der die
Wurzeln trifft, und vielleicht bewirkt gerade der, der das meiste Geld und die meiste Zeit für die Armen hergibt, durch seine Lebensweise das Elend, das er vergeblich zu lindern strebt, Er ist wie der fromme Sklavenhalter, der von dem Profit jedes zehnten Sklaven allen übrigen einen freien Sonntag erkauft.
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Manche beweisen ihre Menschenfreundlichkeit damit, daß sie arme Leute in ihrer Küche beschäftigen. Wäre es nicht
menschenfreundlicher von ihnen, wenn sie sich selbst dort beschäftigen würden? Da prahlt einer, daß er ein Zehntel seines
Einkommens für wohltätige Zwecke ausgibt. Er sollte neun Zehntel dafür ausgeben. Denn sonst erhält die Gesellschaft nur den zehnten Teil des Vermögens zurück. Liegt das am Edelmut des jeweiligen Besitzers oder der Nachlässigkeit der Verwalter der Gerechtigkeit?
Philanthropie ist beinahe die einzige Tugend, die von der Menschheit ausreichend gerühmt wird. Nein, sie wird sogar weit überschätzt; überschätzt durch unseren Egoismus. Eines
sonnigen Tages sang mir ein gesunder armer Mann ein Loblied auf einen Mitbürger aus Concord, weil jener, wie er sagte, wohltätig gegen die Armen war; damit meinte er sich selbst. Die wohltätigen Onkel und Tanten unseres Geschlechts werden höher geschätzt als seine wahren geistigen Väter und Mütter.
Einst hörte ich einen Geistlichen, einen gebildeten und intelligenten Mann, über England referieren. Nachdem . er die Größen aus Wissenschaft, Literatur und Politik - Shakespeare, Bacon, Cromwell, Milton, Newton und andere - aufgezählt hatte, ging er zu den christlichen Helden über, die er, als verlangte dies sein Beruf von ihm, weit über die anderen stellte, als die Größten der Großen. Hier nannte er Penn, Howard und Mrs. Fry. Jeder muß die Falschheit und Schein-Heiligkeit spüren, die darin liegt. Die letzteren waren doch nicht Englands beste Männer und Frauen; höchstens seine besten
Philanthropen.
Ich möchte das Verdienst, das der Wohltätigkeit im allgemeinen zukommt, keineswegs schmälern, nur verlange ich
Gerechtigkeit für alle, die durch ihr Leben und ihre Werke der Menschheit zum Segen gereichen. Es ist nicht die
Anständigkeit und Gutherzigkeit, die ich an einem Menschen am meisten schätze, sie sind für mich nur sein Stamm und seine Blätter. Jene Pflanzen, aus deren getrockneten Blättern wir Tee für die Kranken bereiten, dienen bloß einem niederen
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Zweck
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