Walden Ein Leben mit der Natur
alle Zeiten das Stöhnen eines sterbenden menschlichen Wesens festhalten - ein trauriger schwacher Nachklang der Sterblichkeit, von Hoffnung verlassen, heult es wie ein Tier, als es das dunkle Tal betritt, doch unter menschlichem Schluchzen.
Eine gurgelnde Begleitmelodie macht es nur noch unheimlicher.
Wenn ich diesen Ruf wiedergeben will, beginne ich instinktiv mit den Buchstaben gl , die für mich einen Geisteszustand ausdrücken, der in der Verwesung aller gesunden und mutigen Gedanken ein gallertartiges brandiges Stadium erreicht hat. Es erinnert mich an das Geheul von Dämonen, Idioten und
Wahnsinnigen. Doch jetzt antwortete eine aus tiefen
Waldesgründen mit einem Ruf, der auf die Entfernung
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ausgesprochen melodiös klingt - Hu-hu-hu-hurm-hu! Und mit diesem Ruf verbanden sich tatsächlich meist nur angenehme Vorstellungen, ob man ihn tags hörte oder nachts, im Sommer oder Winter.
Ich bin froh, daß es Eulen gibt. Sie mögen ruhig das
schwachsinnige und tolle Heulen für die Menschen besorgen.
Es ist ein Klang, der wunderbar zu Sümpfen und
Zwielichtwäldern paßt, in die das Tageslicht nicht dringt. Er läßt uns eine reiche, noch unentwickelte Natur erahnen, die dem Menschen unbekannt ist. Die Eule ist eine Verkörperung des unheimlichen Zwielichts und der unbefriedigten Wünsche, die uns allen gemeinsam sind. Den ganzen Tag hat die Sonne die Oberfläche des Moores beschienen, in dem eine einzelne mit Flechten behangene Tanne steht. Kleine Habichte kreisen darüber, und die Schwarzmeise zwitschert im Immergrün, in dem sich Rebhuhn und Kaninchen verborgen halten. Nun aber dämmert es, und eine andere Art von Geschöpfen erwacht, um dem Sinn der Natur Ausdruck zu verleihen.
Am späten Abend höre ich das ferne Rumpeln von Fuhrwerken, die über Brücken fahren, ein Geräusch, das nachts deutlicher vernehmbar ist als jedes andere, das Bellen der Hunde und manchmal auch das Muhen einer untröstlichen Kuh in einem fernen Stall. Inzwischen erklang das ganze Seeufer vom
Quaken der Ochsenfrösche, dieser unverwüstlichen alten
Weinsäufer und Zecher, die immer noch unbußfertig in ihrem stygischen Gewässer einen Rundgesang anstimmen - wenn die Nymphen des Waldensees mir den Vergleich verzeihen, denn, wenn auch fast keine Wasserpflanzen hier wachsen, Frösche gibt es reichlich. Sie würden gern die Regeln ihrer vergnügten alten Gelage aufrechterhalten, obschon ihre Stimmen heiser und so würdevoll tief geworden sind, daß sie jeder Fröhlichkeit spotten. Auch der Wein hat seine Blume verloren. Er ist zu bloßem Alkohol herabgesunken, der ihren Wanst auftreibt und die süße Trunkenheit vermissen läßt, welche das Erinnern an Vergangenes auslöscht. Nur das Gefühl der Übersättigung, Aufgeschwemmtheit und Fülle ist ihnen geblieben. Der
Gravitätischste unter ihnen tut, das Kinn auf ein herzförmiges
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Blatt gestützt, das seinem sabbernden Maul als Serviette dient, einen tiefen Zug vom einst verachteten Wasser und läßt mit dem Stoßseufzer Tr-r-r-uunk, Tr-r-r-uunk, Tr-r-r-uunk! den Becher in die Runde gehen. Und schon wird auf der anderen Seite des Sees, wo der an Alter und Umfang nächste seinen Schluck getan, die Parole wiederholt. Ist diesem Brauch um den ganzen See herum gehuldigt worden, dann seufzt der Zeremonienmeister befriedigt auf: Tr-r-r-uunk! Und jeder wiederholt dasselbe der Reihe nach bis zu dem am wenigsten aufgedunsenen, schlaffen und ausgelaufenen Schlappwanst, damit ja keiner zu kurz komme. Und immer wieder kreist der Becher aufs neue, bis die Sonne den Morgennebel verscheucht und nur der Patriarch noch übrig ist, der von Zeit zu Zeit sein Tr-r-r-uunk! hervorstößt und vergeblich auf Antwort wartet.
Ich weiß nicht genau, ob ich je im Umkreis meiner Waldlichtung einen Hahnenschrei gehört habe, und ich frage mich, ob es nicht lohnend wäre, dieses Tier nur seiner Musikalität wegen als Singvogel zu halten. Der Schrei dieser einst wilden indischen Fasanenart ist bestimmt der merkwürdigste unter den Vogelrufen; könnte man diese Tiere bei uns heimisch machen, ohne sie zu zähmen - ihr Ruf 'würde in unseren Wäldern bald einen vertrauteren Klang haben als das Krakeelen der
Wildgänse und das Geschrei der Eulen. Und dazu das Gackern der Hennen, das die Pausen füllen würde, wenn die Klarinette des gnädigen Herrn schweigt! Keine Wunder, daß der Mensch diese Vögel seinem Viehstand einverleibt hat, von ihren Eiern und Schenkeln ganz zu schweigen. An einem
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