Walden Ein Leben mit der Natur
Wintermorgen
durch einen Wald zu wandern, der von diesen Vögeln wimmelt, in freier Wildbahn, und die wilden Hähne auf den Bäumen krähen zu hören; hell und schrill klingt es meilenweit über die widerhallende Erde und übertönt die zarteren Gesänge anderer Vögel - man stelle sich das vor! Es würde ganze Völker munter machen. Wer würde da nicht früh aufstehen, früh und früher, mit jedem Tag seines Lebens früher, bis er unsagbar gesund, reich und weise wäre? Die Melodie dieses fremden Vogels wird von den Dichtern aller Länder zusammen mit den Melodien ihrer eigenen Sänger gefeiert. Alle Himmelsstriche sagen dem
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tapferen Gockelhahn zu. Er ist einheimischer als die
Eingeborenen selbst. Seine Gesundheit ist robust, die Lungen sind kräftig und die Lebensgeister immer frisch. Sogar der Matrose auf dem Atlantik und dem Pazifik wird von seiner Stimme geweckt; nur mich hat sein schriller Schrei noch nie aus meinem Schlaf gerissen. Ich hielt weder Hund noch Katze, weder Kuh noch Schwein noch Hühner, und man hätte sagen könne, es fehle mir an an heimelnden Geräuschen. Auch das Butterfaß und das Spinnrad fehlten, ja nicht einmal das Singen eines Wasserkessels, das Zischen einer Teekanne und
Kindergeschrei verbreiteten Behagen. Ein altmodischer Mensch wäre verrückt geworden oder vor Langeweile gestorben. Sogar die Ratten in den Wänden hätte man vermißt, denn es gab nichts, das sie lockte, sie wären rein verhungert. Nur
Eichhörnchen tummelten sich auf meinem Dach und unter
meinem Fußboden, eine Nachtschwalbe saß auf dem Dachfirst, ein Blauhäher rief unter meinem Fenster, Hasen oder
Murmeltiere nisteten unter dem Haus, eine Schleiereule oder ein Waldkauz dahinter, eine Schar wilder Gänse oder ein lachender Eistaucher bevölkerten den See, und nachts bellte der Fuchs. Auch die sanfteren Vögel der Obstgärten wie die Lerche oder der Pirol verirrten sich nie auf meine Lichtung. Kein Hahn krähte, keine Hennen gackerten im Hof. Es gab keinen Hof! Nichts als unumzäunte Natur, bis an die Türschwelle.
Unter meinen Fenstern breitete sich der Jungwald aus, wilder Sumach und Brombeerranken wucherten bis in den Keller
hinein. Starke Pechkiefern, die Platz brauchten, rieben sich knarrend an den Schindeln meiner Wände, und ihre Wurzeln reichten bis unter mein Haus. Statt eines vom Sturm
abgerissenen Fensterladens oder einer Dachluke lag eine zerschmetterte oder entwurzelte Kiefer hinter dem Haus zum Verheizen. Und kein Weg an die Gartentür, auch nicht bei tiefstem Schnee - keine Gartentür - kein Vorgarten - und kein Weg in die zivilisierte Welt!
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V
Einsamkeit
Ein köstlicher Abend, wenn der ganze Körper ein Sinn, eine Empfindung ist und mit jeder Pore Entzücken atmet! Ich
bewege mich mit erstaunlicher Zwanglosigkeit in der Natur, ein Teil ihrer selbst. Wenn ich bei kühlem, bewölktem, windigem Wetter in Hemdsärmeln das steinige Seeufer entlanggehe und nichts meine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, fühle ich eine ungewöhnliche Übereinstimmung mit den
Elementen, die mich umgeben. Die Ochsenfrösche leiten
trompetend die Nacht ein, und von der windbewegten Luft wird das Lied der Nachtschwalbe über das Wasser
herübergetragen. Ich bin so in Einklang mit dem zitternden Espen- und Pappellaub, daß es mir fast den Atem benimmt.
Und doch ist mein Gemüt nicht beunruhigt, nur oberflächlich gekräuselt wie der See. Diese kleinen Wellen, die der
Abendwind aufrührt, sind vom Sturm genausoweit entfernt wie die spiegelglatte Wasserfläche. Es ist dunkel geworden, und noch immer rauscht der Wind durch den Wald, die Wellen
schlagen ans Ufer, und einige Tiere lullen mit ihren Liedern die übrigen ein. Vollkommen ist die Ruhe nie. Die wilden Tiere ruhen nicht, sie gehen auf Beute aus. Fuchs, Stinktiere und das wilde Kaninchen durchstreifen jetzt furchtlos Feld und Wald. Sie sind die Nachtwächter der Natur - Bindeglieder zwischen den Tagen regen Lebens.
Wenn ich dann nach Hause kam, entdeckte ich oft, daß sich Besucher eingefunden und ihre Karten hinterlassen hatten: einen Blumenstrauß, einen Kranz Immergrün oder ihren Namen mit Bleistift auf ein gelbes Walnußblatt oder einen Holz span gekritzelt. Menschen, die selten in den Wald kommen, pflücken gewöhnlich etwas ab, um unterwegs damit zu spielen. Sie lassen es dann absichtlich oder unabsichtlich liegen. So hatte jemand eine Weidenrute geschält, einen Reif daraus geflochten und ihn auf meinem Tisch
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