Walden Ein Leben mit der Natur
Mitmenschen mit ihren schändlichen
Einrichtungen verfolgen, Hand an ihn legen und ihn womöglich mit Gewalt dazu zwingen, ihren verzweifelten
Wohlfahrtsorganisationen beizutreten. Gewiß, ich hätte mich mit mehr oder weniger Erfolg gewa ltsam widersetzen und einen Amoklauf gegen die Gesellschaft beginnen können. Ich zog es jedoch vor, diesen Amoklauf der Gesellschaft zu überlassen, da ja sie die verzweifelte Partei war. Indessen wurde ich schon am nächsten Tag wieder entlassen und kehrte, nachdem ich
meinen geflickten Schuh in Empfang genommen, noch
rechtzeitig in den Wald zurück, um mein Mittagessen aus indianischen Blaubeeren auf dem Fair-Haven-Hügel zu
genießen. Ich bin niemals von irgendeinem Menschen belästigt
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worden, außer von den Vertretern des Staates. Abgesehen von meinem Schreibtisch, der meine Papiere enthielt, war in meinem Haus nichts verschlossen, nichts verriegelt, nicht einmal über meiner Tür oder über meinem Fenster war ein Riegel angebracht. Ich verschloß meine Türe weder bei Tag noch bei Nacht, obwohl ich manchmal mehrere Tage von zu Hause fortblieb. Auch als ich im nächsten Herbst zwei Wochen in den Wäldern von Maine verbrachte, ließ ich mein Haus offenstehen, und es wurde mehr respektiert, als wenn es von einer Abteilung Soldaten bewacht worden wäre. An meinem Kamin konnte sich jeder müde Wanderer ausruhen und
wärmen, der literarisch interessierte konnte sich an den wenigen Büchern auf meinem Tisch erfreuen, und der
Neugierige, indem er in meinem Speiseschrank nachsah, was von meinem Mittag essen übriggeblieben war. Und obgleich viele Menschen aus allen Gesellschaftsklassen an den
Waldensee kamen, hatte ich mich in dieser Hinsicht über keinerlei ernstliche Ungehörigkeit zu beklagen. Bis auf ein kleines Buch habe ich nie etwas vermißt. Es war ein Band Homer, der vielleicht ein wenig zu auffallend vergoldet war, und selbst dieser dürfte, wie ich annehme, in die Hände eines Gesinnungsgenossen gefallen sein. Wenn alle Menschen so einfach leben würden wie ich damals, gäbe es meiner
Überzeugung nach weder Diebstähle noch Raubüberfälle. So etwas kommt nur in einer Gemeinschaft vor, in der einige mehr als genug, die anderen hingegen zu wenig haben. Auch die Homer-Ausgaben würden in diesem Fall bald richtig verteilt sein.
»Nec bella fuerunt,
Faginus astabat dum scyphus ante dapes.
Auch Kriege gab es nicht,
Solange im Buchenholzkelch den Trank man kredenzte.«
»Ihr, die ihr die öffentlichen Angelegenheiten lenkt, warum nehmt ihr Zuflucht zu Strafen? Liebt ihr die Tugend, und das Volk wird tugendhaft sein. Die Tugenden eines Hochgestellten sind wie der Wind; die Tugenden des gewöhnlichen Mannes
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sind wie das Gras; das Gras biegt sich, wenn der Wind
darüberstreicht.«
IX.
Die Seen
War ich alle meine Freunde im Dorf durchgegangen und der Gesellschaft und des Geschwätzes der Menschen überdrüssig, dann dehnte ich meine Streifzüge manchmal weiter westwärts aus, in einsamere Gegenden, »nach neuen Wäldern, neuen
Weiden«; oder ich bereitete mir bei Sonnenuntergang auf dem Fair-Haven-Hügel mein Abendessen aus Heidelbeeren und
legte mir einen Vorrat für mehrere Tage an. Der Käufer in der Stadt und auch der, der die Früchte nur für den Verkauf zieht, kennt das wahre Aroma der Beeren nicht. Es gibt nur einen Weg, es kennenzulernen, doch wenige nehmen ihn auf sich.
Wer wissen will, wie Heidelbeeren schmecken, muß einen
Hirtenjungen oder das Rebhuhn fragen. Es ist ein Irrtum zu glauben, man wüßte, wie Heidelbeeren schmecken, wenn man nie selbst welche gepflückt hat. Diese Beeren erreichen Boston erst gar nicht; es hat sie dort nicht mehr gegeben, seit sie auf seinen drei Hügeln wuchsen. Ihr ambrosischer,
charakteristischer Geschmack geht mit dem Hauch der Frische bereits auf dem Weg zum Markt verloren, und sie werden zum bloßen Nahrungsmittel. Solange die ewige Gerechtigkeit waltet, kann keine unverdorbene Heidelbeere von den Hügeln auf dem Land in die Stadt geschafft werden.
Gelegentlich, wenn ich mit dem Umstechen für den Tag fertig war, schloß ich mich auch einem ungeduldigen Angler auf dem See an, der dort seit dem frühen Morgen stumm und
regungslos wie eine Ente oder ein schwimmendes Blatt fischte.
Meistens hatte er um diese Zeit bereits verschiedene
philosophische Methoden durchprobiert und sich entschieden, dem uralten Klosterorden der Zönobiten anzugehören. Es gab auch einen älteren Mann, einen
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