Walden Ein Leben mit der Natur
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Südosten und Osten sogar bis hundert und hundertfünfzig Fuß im Umkreis einer viertel oder drittel Meile an. Es ist
ausschließlich Waldland. Alle Gewässer der Umgebung von Concord weisen wenigstens zwei Farben auf: die eine bei Betrachtung aus der Entfernung, die andere, eigentliche Farbe beim Hinsehen aus nächster Nähe. Die erste hängt mehr von der Beleuchtung ab und spiegelt den Himmel wider. Bei klarem Sommerwetter erscheinen die Gewässer aus geringer
Entfernung blau, besonders bei Wellengang; auf größere
Entfernung wirken sie alle gleich. Bei Sturm sind sie manchmal von einem dunklen Schiefergrau. Doch sagt man vom Meer, es sei einen Tag blau, den anderen grün, ohne daß eine merkliche Veränderung der Atmosphäre stattfindet. Ich stellte fest, daß sowohl das Wasser wie auch das Eis unseres Flusses bei
Schnee fast grasgrün waren. Vielfach hält man blau »für die Farbe reinen Wassers, ob in flüssigem oder festem Zustand«.
Wenn man aber vom Boot aus direkt in eines unserer
Gewässer sieht, bemerkt man, daß es sehr viele verschiedene Farben zeigt. Der Waldensee wirkt einmal blau, einmal grün, selbst vom gleichen Standort aus. Zwischen Erde und Himmel gelegen, nimmt er die Farben beider an. Blickt man von einem Hügel auf ihn herunter, dann spiegelt er die Farbe des
Himmels, von nahem gesehen aber ist er gegen das Ufer zu, wo man den Sand auf seinem Grunde sieht, gelblich, dann hellgrün und allmählich gegen die Mitte zu gleichmäßig
dunkelgrün. Bei einer gewissen Beleuchtung wirkt er sogar von der Höhe aus gegen das Ufer zu grün. Man schreibt das
gewöhnlich der Spiegelung der Pflanzen in der Nähe des Ufers zu, aber er ist auch dort grün, wo der sandige Bahndamm an ihm vorüberführt, und im Frühling, noch ehe sich die Blätter entfaltet haben. Vielleicht kommt das einfach daher, daß sich das vorherrschende Blau des Wassers mit dem Gelb des
Sandes mischt. So also ist die Farbe seiner Iris. Hier ist auch die Stelle, wo im Frühling das Eis, durch die vom Grund reflektierten und von der Erde weitergeleiteten Sonnenstrahlen erwärmt, zuerst schmilzt und sich um die noch zugefrorene Mitte ein schmaler Kanal bildet. Wie alle anderen Gewässer unserer Umgebung erscheint der Waldensee bei klarem Wetter
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und starkem Wind auf geringe Entfernung von einem dunkleren Blau als der Himmel; vielleicht weil die Wellen dann den Himmel genau im rechten Winkel spiegeln oder weil sie mehr Licht auffangen. Wenn ich mich bei solchem Wetter auf dem See befand und sein Wasser so betrachtete, daß ich
gleichzeitig auch die Spiegelung wahrnahm, habe ich an den Wellen oft ein wunderbares, unbeschreiblich helles Blau wie das von changierender Seide oder einer Stahlklinge
beobachtet, das das dunkle Grün auf der anderen Seite der Wellen fast schmutzig erscheinen ließ. Es war, wie ich mich erinnere, ein gläserner, grünlicher Blauton, wie man ihn im Winter oft vor Sonnenuntergang zwischen den Wolken im
Westen durchbrechen sieht. Und doch ist ein einzelnes Glas seines Wassers gegen das Licht gehalten so farblos wie die gleiche Menge Luft. Man kennt den Grünstich einer großen Glasscheibe, den die Hersteller auf ihren »Korpus«
zurückführen, während ein kleines Stückchen farblos ist. Wie groß der Korpus an Waldenwasser sein muß, um einen
Grünstich aufzuweisen, habe ich noch nicht ermittelt. Das Wasser unse res Flusses ist schwarz oder dunkelbraun, wenn man direkt auf ihn hinunterschaut, und verleiht, wie das Wasser der meisten Seen, dem Körper eines Badenden eine gelbliche Tönung. Mein Wasser aber ist von solch gläserner Klarheit, daß der Körper des Badenden weiß wie Alabaster scheint, ganz unnatürlich; und im Zusammenspiel mit der optischen
Vergrößerung und Verzerrung der Glieder entsteht ein
monströser Effekt, der einem Michelangelo zur Studie
gereichen würde.
Das Wasser ist so durchsichtig, daß man auch bei einer Tiefe von zwanzig bis dreißig Fuß leicht den Grund erkennen kann.
Beim Rudern sieht man viele Fuß tief unter der Oberfläche Schwärme von Barschen und Weißfischen, oft nur einen Zoll lang, deren erstere leicht durch ihre Querstreifen von den anderen zu unterscheiden sind; und man denkt sich, es müssen recht asketische Fische sein, die da unten ihr Auskommen finden. Eines Winters vor vielen Jahren war ich dabei, Löcher ins Eis zu hacken, um Hechte zu fangen, und als ich wieder ans
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Ufer kam, warf ich meine Axt achtlos zurück aufs
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