Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Axt eine Lichtung schuf, oder dort, wo ein bebautes Feld ihn begrenzt. Für die Bäume ist genügend Raum vorhanden, sich nach dem Wasser hin auszubreiten und dorthin sendet ein jeder seinen kräftigsten Zweig. Hier erblickt das Auge einen natürlichen Saum, den die Natur gewoben hat und der von den niedrigsten Sträuchern bis zu den höchsten Bäumen harmonisch ansteigt. Von Menschenhänden gibts hier nur wenige Spuren. Das Ufer wird vom Wasser gerade wie vor tausend Jahren bespült.
Ein See ist der schönste, strahlendste Schmuck einer Landschaft. Er ist der Erde Auge. Wer hineinschaut, mißt die Tiefe seines eigenen Wesens. Die Bäume, die das Ufer umrahmen, sind seine schlanken Wimpern, die waldigen Hügel und Klippen gleichen den schützenden Augenbrauen.
Wenn ich an einem ruhigen Septembernachmittag auf dem ebenen, sandigen Ufer am östlichen Ende des Teiches stand, während ein leichter Dunsthauch die Konturen des gegenüberliegenden Ufers verschleierte, dann erkannte ich, woher der Ausdruck "glasige Oberfläche eines Teiches" stammt. Wendet man den Kopf zur Seite, so gleicht der See einem feinsten Sommerfaden, der über das Tal hinweggespannt ist, sich glitzernd vom gegenüberliegenden Tannenwald abhebt und eine Luftschicht von der anderen trennt. Man glaubt, daß man trockenen Fußes darunter zu den gegenüberliegenden Hügeln wandern könne, daß die Schwalben, die darüber hin flattern, sich auf ihm ausruhen werden. Manchmal tauchen sie auch, wie aus Versehen,unter die Oberfläche, um sofort eines Besseren belehrt zu werden. Will man gen Westen über den Teich blicken, so muß man die Augen mit beiden Händen beschatten zum Schutz gegen die wirkliche Sonne und gegen ihr Spiegelbild, denn beide sind gleich blendend. Betrachtet man zwischen diesen beiden Sonnen die Oberfläche scharf, so ist sie tatsächlich so glatt wie Glas, nur dort nicht, wo die Wasserläuferinsekten, in gleichmäßigen Zwischenräumen über den ganzen Teich verteilt, durch ihre Bewegungen die denkbar feinsten Glanzlichter im Sonnenschein hervorbringen, auch dort nicht, wo eine Ente ihr Gefieder putzt oder eine Schwalbe so niedrig fliegt – ich erwähnte das schon –, daß ihre Flügel die Fluten berühren. Weit vom Ufer entfernt beschreibt bisweilen ein Fisch einen Bogen von drei bis vier Fuß durch die Luft: ein heller Blitz zuckt an der Stelle auf, wo das Tier emportaucht, ein zweiter, wo es das Wasser wieder berührt. Bisweilen wird der ganze Silberbogen deutlich sichtbar. Hier und dort schwimmt ein Stückchen Distelwolle auf dem Wasserspiegel. Fische schießen pfeilschnell darauf los, so daß die Wellen leicht sich kräuseln. Wie geschmolzenes, erkaltetes aber nicht erstarrtes Glas liegt der Teich da. Die wenigen Stäubchen darauf sind so klar und schön wie die Unvollkommenheiten im Glase. Manchmal kann man auch ein noch glatteres, dunkleres Wasser entdecken: ein unsichtbares Spinngewebe dient hier als Hafenbaum, um den Ruheplatz der Nymphen von dem übrigen Wasser abzugrenzen. Von einer Hügelspitze aus sieht man fast überall die Fische springen. Denn weder ein Grashecht noch ein Weißfisch erhascht auf dieser glatten Oberfläche ein Insekt, ohne das Gleichgewicht des ganzen Teiches zu stören. Es ist wundervoll, wie genau diese einfache Tatsache nach allen Richtungen hin verkündet wird – dieser Mörder in Fischgestalt kann nichts heimlich tun – und von meiner hohen Warte kann ich in der Ferne die Wellenkreise unterscheiden, wenn ihr Durchmesser auch neunzig Fuß beträgt. Ich kann sogar eine Wasserwanze (Gyrinus) aus der Entfernung von einer Viertelmeile sehen, die unaufhörlich über den glatten Spiegel dahinläuft, denn diese Tiere furchen das Wasser leicht, ein feines Gekräusel zeigt sich auf der Oberfläche, dasvon zwei divergierenden Linien begrenzt wird. Die Wasserläufer aber gleiten dahin, ohne das Wasser wahrnehmbar zu bewegen. Ist der See nicht ganz ruhig, dann gibt es weder Wasserläufer noch Wasserwanzen auf ihm. An windstillen Tagen dagegen verlassen sie ihren Hafen, fahren voll Abenteuerlust mit kurzen Stößen vom Ufer ab, bis sie scharenweise den ganzen Teich bedecken. Es wirkt beruhigend, wenn man, wie ich, an einem jener schönen Herbsttage, wo man die Sonnenwärme vollauf zu schätzen weiß, hoch oben auf einem Baumstumpf sitzend den Teich überblickt und die Wellenkreise beobachtet, die ohne Unterlaß auf die sonst unsichtbare Oberfläche zwischen dem Spiegelbild des Himmels und der Bäume
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