Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
gezeichnet werden. Auf dieser weiten Fläche wird jede eintretende Störung sogleich mild besänftigt und beseitigt: ein Glas mit Wasser ward geschüttelt, zitternd suchten die Kreise das Ufer – und unbewegt ist alles wie zuvor. Ob ein Fisch springt oder ein Insekt in den Teich fällt: leichtes Gekräusel zieht seine Kreise und gibt hiervon Kunde in Linien voll Schönheit, gemahnt an einen ewig fließenden Quell, an den leisen Pulsschlag seines Lebens, an das Heben und Senken seiner Brust. Der Freudenschrei und Schmerzensschrei sind nicht zu unterscheiden. Wie friedlich ist des Teiches Leben! Wieder leuchten die Werke der Natur wie zur Frühlingszeit. Ja! Jedes Blatt und jeder Zweig, jeder Stein und jedes Spinnengewebe glänzt jetzt mitten am Nachmittage, als läge überall eines Frühlingsmorgens Tau. Jede Bewegung eines Ruders oder eines Insektes erzeugt einen Lichtblitz. Und wenn ein Ruder eintaucht – wie hallt das Echo so hold!
An solch einem Nachmittage im September oder Oktober ist der Waldenteich ein vollkommener Waldspiegel, umrahmt von Steinen, die mein Auge so entzücken, als ob davon nur wenige von hohem Wert auf dieser Welt vorhanden wären. Vielleicht ist auf Erden nichts so schön, so rein und zugleich so groß wie der See. Himmelswasser! Es braucht keinen Schutz. Völker kommen und Völker gehen, ohne es zu trüben. Es ist ein Spiegel, den kein Stein zertrümmert, dessen Quecksilber nie sich abnutzt, dessen Vergoldung die Natur beständig ausbessert, ein Spiegel, dessen allzeit klare Fläche kein Sturm,kein Staub je trüben kann, in dem alles Unreine, was mit ihm in Berührung kommt, zu Boden sinkt, ein Spiegel, den die Sonne mit ihrem dampfenden, schimmernden Staubtuch säubert und putzt. Kein Hauch, der auf ihm sich niederschlägt, bleibt haften, nein, er sendet vielmehr den eigenen Atem empor, damit er als Wolke hoch über ihm schwebe und in seinem Schoß sich noch wiederspiegele.
Eine Wasserfläche verrät den Geist, der in der Luft ist. Von oben her erhält sie stets neues Leben und neue Bewegung. Sie ist ihrer Natur nach ein Mittelding zwischen Himmel und Erde. Auf dem festen Lande wogen nur Gras und Bäume, das Wasser selbst wird jedoch vom Winde bewegt. Lichtstreifen und Lichtblitze verkünden mir, wie die Brise über den See streicht. Es ist seltsam, daß wir auf seine Oberfläche herniederblicken können. Wir werden vielleicht eines Tages auch auf die Oberfläche der Luft herniederschauen und die Stelle sehen, wo ein noch feinerer Geist darüber hin schwebt.
Die Wasserläufer und Wasserwanzen verschwinden Ende Oktober, wenn die heftigen Nachtfröste beginnen, gänzlich. Dann ist, gerade wie an windstillen Novembertagen, meistens nichts vorhanden, was die Oberfläche kräuseln könnte. An einem Novembernachmittag bemerkte ich während der Windstille, die mehrtägigen Regenstürmen folgte, bei bedecktem Himmel und nebeliger Luft eine außerordentliche Glätte des Teiches. Seine Oberfläche war daher nur mit Mühe zu erkennen, obwohl er nicht mehr die leuchtenden Farben des Oktobers, sondern die dunkelen Novemberfarben der umliegenden Hügel wiederspiegelte. Trotzdem ich so behutsam wie nur möglich auf ihm dahinruderte, dehnten sich doch die kleinen Wellen, die mein Boot verursachte, fast so weit wie ich sehen konnte aus, und verliehen den Spiegelbildern ein geripptes Aussehen. Und als ich über die Oberfläche hinsah, bemerkte ich hier und dort ein schwaches Leuchten. Ich dachte, daß einige Wasserläuferinsekten, die dem Frost entgangen waren, sich dort versammelt hätten, oder daß vielleicht die jetzt so glatte Oberfläche verraten wolle, wo am Grund eine Quelle springe. Langsam ruderte ich nach einer dieser Stellen und sah mich dort zu meinem Erstaunen von Myriaden kleiner, ungefähr fünf Zoll langerBarsche von tiefer Bronzefarbe umschwärmt, die in der grünen Flut sich vergnügten, fortwährend zur Oberfläche emporstiegen, leises Gekräusel daselbst verursachten und manchmal Bläschen dort zurückließen. Auf solch durchsichtigem und scheinbar bodenlosem Wasser, das die Wolken wiederspiegelt, glaubte ich in einem Ballon durch die Lüfte zu schweben; das Schwimmen der Fische schien mir ein Fliegen, ein Schweben zu sein. Sie glichen einem dichten Schwarm von Vögeln in ihnen, die rechts und links gerade unter meiner Gondel dahinzogen. Ihre ausgebreiteten Flossen machten auf mich den Eindruck von Flügeln. Solche Schwärme gab es in großer Anzahl im Teich. Sie nutzten
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