Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
eingeborenen Jäger und instinktiv wird er noch heute von den Bewohnern des Landes von Zeit zu Zeit benutzt. Wenn man im Winter, gerade nach einem leichten Schneefall, mitten auf dem Eise steht, dann ist dieser Pfad vollkommen deutlich als weiße Wellenlinie sichtbar; er wird dann nicht durch Unkraut und durch Zweige verdeckt, sondern tritt gerade dort, wo man ihn im Sommer und in geringerer Entfernung nicht zu lokalisieren vermag, klar hervor. Der Schnee gibt ihn in neuer Auflage heraus, druckt ihn in klaren weißen Hochrelief-Typen. Vielleicht werden die kunstvoll angelegten Gärten der Landhäuser, die man dereinst hier errichten wird, ein Stück von ihm bewahren.
Der Teich steigt und fällt; ob dies regelmäßig und innerhalb welcher Periode es geschieht, weiß jedoch kein Mensch, wenn auch natürlich viele behaupten, es zu wissen. Meistens ist er im Winter höher, im Sommer niedriger, doch lassen sich hieraus auf Regen oder Trockenheit keine Schlüsse ziehen. Ich kann mich erinnern, daß er einmal zwei Fuß niedriger, ein anderes Mal fünf Fuß höher war als zu der Zeit, wo ich an seinem Ufer wohnte. Eine schmale Sandbank erstreckt sich in ihn hinein; an ihrer einen Seite ist das Wasser sehr tief. Dort – ungefähr neunzig Fuß vom Hauptufer entfernt – half ich im Jahre 1824 einen Kessel voll Chowder kochen. Das wäre in den folgenden fünfundzwanzig Jahren unmöglich gewesen. Andererseits machten meine Freunde ungläubige Gesichter, wenn ich ihnen sagte, daß ich einige Jahre später vom Boot aus in einer abgelegenen Waldbucht, ungefähr 240 Fuß von dem einzigen, ihnen bekannten Ufer entfernt, zu fischen pflegte, an einer Stelle, die jetzt längst in eine Wiese verwandelt ist. In denletzten zwei Jahren ist der Teich jedoch beständig gestiegen und jetzt im Sommer 1852 genau um fünf Fuß höher wie damals, als ich dort wohnte; er hat also die gleiche Höhe wie vor dreißig Jahren und wieder einmal wird auf der Wiese gefischt. Das macht eine maximale Differenz von sechs oder sieben Fuß. Da jedoch die umliegenden Höhen als Wasserscheide kaum in Betracht zu ziehen sind, so muß dieser Hochstand auf Ursachen zurückgeführt werden, welche den tieferen Quellen entstammen. Gerade in diesem Sommer hat der Teich wieder angefangen zu fallen. Es ist interessant, daß diese Schwankung – einerlei, ob sie periodisch ist oder nicht – sich im Verlauf so vieler Jahre abspielt. Ich habe ein Steigen und ein zweimaliges, teilweises Fallen beobachtet, und ich vermute, daß nach weiteren zwölf oder fünfzehn Jahren das Wasser wieder so tief stehen wird, wie ich es einstens sah. Flints Teich, der eine Meile östlich liegt, sympathisiert, auch wenn man die durch Zuflüsse und Abflüsse hervorgerufene Niveauschwankung in Rechnung zieht, gerade wie auch die kleineren dazwischen liegenden Teiche mit dem Waldensee; er erreichte kürzlich seine höchste Höhe zu derselben Zeit wie sein westlicher Nachbar. Das gleiche kann man, soweit meine Beobachtungen reichen, vom Whiteteich sagen.
Das Steigen und Fallen des Waldenteiches, das in langen Zwischenräumen vor sich geht bringt wenigstens einen Vorteil: Wenn das Wasser ein Jahr oder länger seinen Hochstand beibehält, wird der Spaziergang um den See allerdings etwas erschwert, die Sträucher und Bäume aber, die am Uferrand seit seinem letzten Steigen emporsproßten, die Harztannen, Birken, Erlen und Espen und manche andere sterben ab, – ein freies Ufer bleibt zurück. So kommt es, daß sein Ufer im Gegensatz zu manchen Teichen und allen Gewässern, die täglich Ebbe und Flut aufweisen, am reinsten ausschaut, wenn das Wasser am tiefsten steht. An der einen Seite des Teiches wurde eine Anzahl Harztannen, die fünfzehn Fuß hoch waren, getötet, wie mit einem Hebeeisen umgelegt und so ihren wachsenden, widerrechtlichen Übergriffen auf fremdes Gebiet ein Ziel gesetzt. Ihre Größe deutet indessen darauf hin, wieviele Jahre seitdem letzten Ansteigen bis zu diesem Hochstand verflossen sind. Durch diese Niveauschwankungen betont der Teich sein Hoheitsrecht über den Uferwall; der Wall wird verwüstet und Bäume nicht an ihm geduldet. Diese Ufer sind die Lippen des Sees, auf dem kein Bart wächst. Er leckt sich von Zeit zu Zeit den Mund ab. Wenn das Wasser am höchsten steht, dann schicken Erlen, Weiden und Ahornbäume eine Menge faseriger, roter Wurzeln, die mehrere Fuß lang sind, von allen Seiten ihres Stammes in das Wasser hinein bis zu einer Tiefe von drei bis vier
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