Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
verrichten kann, ohne auf diese Weise an einen Ochsen, an ein Pferd, eine Kuh oder an ein Schwein gebunden zu sein, wie das heutzutage der Fall ist. Ich wünsche unparteiisch über diesen Punkt zu sprechen, als einer, der nicht an den Erfolg oder Mißerfolg der heutigen ökonomischen undsozialen Verhältnisse interessiert ist. Ich war unabhängiger als irgend ein Farmer in Concord, denn ich war nicht an ein Haus oder an eine Farm verankert. Ich konnte, im Gegenteil, den Stimmungen meines Genius, die oft genug wechseln, in jedem Augenblick folgen. Ganz abgesehen davon, daß ich bereits reicher war als sie, wäre ich, falls mein Haus abgebrannt und meine Ernte mißraten wäre, fast gerade so reich gewesen wie zuvor.
Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Menschen nicht so sehr die Herren ihrer Herden sind als die Herden die Herren der Menschen. Die Serben sind bei weitem freier. Menschen und Ochsen tauschen ihre Arbeit aus. Wenn wir aber nur die nötige Arbeit in Rechnung ziehen, so scheinen die Ochsen bedeutend im Vorteil zu sein: ihr Grundbesitz ist bei weitem größer. Der Mensch verrichtet einen Teil seiner Tauscharbeit in sechs Heuwochen, und das ist kein Kinderspiel. Ein Volk, das in jeder Beziehung einfach lebt, d. h. ein Volk von Philosophen, würde sicherlich nicht den großen Fehler begehen und die Arbeit von Tieren verwerten. Allerdings – es gab nie ein Volk von Philosophen und es ist nicht wahrscheinlich, daß es bald eines geben wird. Ich bin auch durchaus nicht sicher, ob das wünschenswert wäre. Das aber weiß ich: ich würde nie ein Pferd oder einen Stier abrichten und in Kost nehmen für irgend welche Arbeit, die sie für mich tun könnten, schon aus Angst davor, daß ich zum bloßen Pferdeknecht oder Viehhüter werden könnte. Und wenn die menschliche Gesellschaft zu gewinnen scheint, indem sie es tut, sind wir dann auch sicher, daß, was für den einen Gewinn bringt, nicht für den andern Verlust bedeutet, daß der Stalljunge aus demselben Grunde zufrieden ist wie sein Herr? Zugegeben, daß einige öffentliche Arbeiten nicht ohne diese Hilfe hätten ausgeführt werden können – der Mensch möge den Ruhm davon mit Ochsen und Pferden teilen – folgt daraus, daß er in diesem Falle nicht Werke hätte vollenden können, die seiner selbst noch würdiger gewesen wären? Wenn die Menschen anfangen, mit Hilfe der Tiere nicht nur unnötige oder künstliche, sondern auch törichte Luxusarbeit zu verrichten, so ist es unvermeidlich, daß einige von ihnen alle Arbeit mit den Ochsen austauschen,oder mit anderen Worten, die Sklaven des Stärksten werden. So arbeitet der Mensch nicht nur für das Tier, das in ihm wohnt, sondern – symbolisch – auch für das Tier außer ihm. Obwohl wir in diesem Orte viele festgebaute Häuser aus Sandstein oder Ziegelstein haben, wird doch der Wohlstand des Farmers immer noch darnach eingeschätzt, wie hoch der Stall das Haus überragt. In diesem Stadtbezirk hier sollen sich die größten Häuser für Ochsen, Kühe und Pferde befinden, und dabei stehen seine öffentlichen Gebäude auf der Höhe der Zeit. In diesem Lande gibt es dagegen nur sehr wenige Hallen für freien Gottesdienst oder für freie Rede. Wäre es nicht wünschenswerter, daß die Völker, anstatt durch ihre Architektur, vielmehr durch die Kraft des abstrakten Gedankens ein Denkmal sich errichteten? Wie viel mehr muß man die Bhagavad-Gitâ bewundern als alle Ruinen des Morgenlandes! Türme und Tempel sind die Luxusgegenstände der Fürsten. Ein einfacher und unabhängiger Charakter plagt sich nicht auf Befehl eines Fürsten ab. Das Genie ist kein Hofschranze und sein Material besteht nicht in Silber oder Gold oder Marmor, jedenfalls nur zum kleinsten Teil. Wozu, um des Himmels willen, wird so viel Stein verarbeitet? In Arkadien sah ich zur Zeit meines Aufenthaltes niemand, der Steine klopfte. Die Völker sind von dem wahnsinnigen Ehrgeiz ergriffen ihr Andenken durch einen Haufen behauener Steine zu erhalten. Wie wäre es, wenn sie sich ebensoviel Mühe gäben ihre Sitte zu glätten und zu polieren? Ein verständiger Gedanke ist denkwürdiger als ein Denkmal, das bis zum Monde reicht. Ich sehe Steine lieber an ihrem natürlichen Platze. Die Größe Thebens war eine gemeine Größe. Vernünftiger als das hunderttorige Theben, das weit vom wahren Zweck des Lebens abwich, sind ein paar Meter Mauerwerk, die eines ehrlichen Mannes Acker umgeben. Barbarische und heidnische Religion und
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