Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
nicht notwendig, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot erntet – es sei denn, daß er leichter in Schweiß gerät als ich.
Ein mir bekannter junger Mann, der einige Hektar Land geerbt hatte, sagte mir, daß er gerade so wie ich leben würde, "wenn er die Mittel besäße". Ich wünsche jedoch um keinen Preis, daß jemand meine Lebensweise befolgt. Denn ganz abgesehen davon, daß ich, bevor jemand sie im Prinzip erfaßt hat, bereits eine andere für mich erfunden haben kann, wünsche ich auch, daß die Menschen dieser Erde so verschieden wie nur möglich sein mögen. Andrerseits aber soll ein jeder sich eifrig bemühen, seinen eigenen Weg zu finden , und nicht den seines Vaters, seiner Mutter oder seines Nachbarn. Laßt den Jüngling Baumeister, Pflanzer oder Seemann werden. Man soll ihn nur nie an der Ausführung seines Lieblingswunsches hindern. Wie der Polarstern dem Seemann oder dem flüchtenden Sklaven als Führer dient, so ist all unsere Weisheit nichts mehr als ein einziger mathematischer Punkt. Wenn wir auch unsern Hafen nicht in absehbarer Zeit erreichen – außer Kurs kommen möchten wir nicht.
Ohne Zweifel ist in diesem Falle das, was für einen wahr ist, noch wahrer für Tausende. Ist doch ein großes Haus im Verhältnis nicht teurer als ein kleines, da ein Dach es bedecken, ein Keller darunter liegen und eine Wand mehrere Zimmer trennen kann. Ich meinerseits zog die einsame Wohnung vor. Ferner wird es in der Regel billiger sein, das Ganze selbst zu bauen als irgend jemand von dem Vorteil der gemeinsamen Mauer zu überzeugen. Aber selbst wenn dies gelungen ist, so muß die Mauer um so dünner sein, je billiger man sie herzustellen wünscht. Der Nachbar kann sich außerdem in schlechtemLichte zeigen und die ihm zugekehrte Seite der Mauer nicht ordentlich im Stande halten. Ein Zusammenwirken ist gewöhnlich nur dann möglich, wenn es in eng begrenztem und oberflächlichem Maße geschieht. Findet wirklich einmal ein ehrliches Zusammenwirken statt, so bemerkt man es nicht. Für solche Harmonie ist des Menschen Ohr nicht geeignet. Hat ein Mensch Vertrauen, so wird er bei jeder gemeinschaftlichen Arbeit das gleiche Vertrauen an den Tag legen, hat er keines, so wird er wie die übrigen Menschen weiterleben, einerlei wem er sich auch zugesellt. Zusammenwirken heißt im höchsten wie im niedrigsten Sinne sein Brot gemeinsam verdienen . Vor kurzem machte jemand folgenden Vorschlag: zwei junge Leute sollten zusammen durch die Welt reisen, der eine ohne Geld, sollte seinen Unterhalt während der Reise vor dem Maste oder hinter dem Pfluge verdienen, der andere sollte sein Bankbuch in der Rocktasche tragen. Man kann sich leicht vorstellen, daß sie nicht lange zusammenwirken, nicht lange Gefährten bleiben werden, da der eine überhaupt nicht wirken will. Sie werden sich bei der ersten interessanten Krisis in ihren Abenteuern trennen. Vor allen Dingen aber kann der Mann, der allein ist, wie ich schon andeutete, bereits heute abreisen. Wer aber mit einem Gefährten reist, muß warten, bis dieser fertig ist. Da kann es lange dauern, bis sie ihre Fahrt antreten.
"Das ist aber alles höchst egoistisch," höre ich meine Mitbürger sagen. Ich gebe zu, ich habe bislang philantropischen Bestrebungen wenig gefrönt. Ich habe dem Pflichtgefühl einige Opfer dargebracht, ihm unter anderem auch dieses Vergnügen geopfert. Einige Leute haben auch alle ihre Überredungskunst aufgeboten, um mich zur Unterstützung einer armen Familie in unserem Städtchen zu bestimmen. Hätte ich nichts zu tun, so könnte ich mich – denn der Teufel gibt dem Müßiggänger Beschäftigung – einem derartigen Zeitvertreib widmen. Als ich aber in dieser Hinsicht nachgiebig wurde und die Verpflichtung übernahm, einigen armen Leuten das Leben in jeder Beziehung so angenehm wie mir selbst zu gestalten, da zogen sie alle, sobald ich mit diesem Anerbieten an sie herantrat, ohne Zaudern vor, arm zu bleiben. Da meine Mitbürger und Mitbürgerinnen auf somannichfache Weise sich dem Wohle anderer Menschen widmen, so hoffe ich, daß wenigstens einer andere und weniger humane Bestrebungen verfolgen darf. Auch zur Mildtätigkeit muß man, gerade wie zu anderen Dingen, Talent haben. Das "Wohltun" ist auf alle Fälle ein Beruf, der überfüllt ist. Ich habe mir indessen redlich Mühe gegeben, ihn auszuüben und doch bin ich, so seltsam es auch scheinen mag, froh, daß er meiner Konstitution nicht zusagt. Selbst dann würde ich
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