Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Überzeugungskraft für die Ohren derjenigen, denen es einerlei war, wie man sie behandelte, die ihre Feinde auf ihre eigne, neue Art liebten, und die nahe daran waren, ihnen all ihr Tun zu verzeihen.
Überzeuge Dich davon, daß Du dem Armen die Hilfe zuteil werden läßt, deren er am dringendsten bedarf, auch wenn es für ihn unmöglich ist, Dein Beispiel nachzuahmen. Opfere Dich selbst mit dem Geld, das du ihm gibst, und händige es ihm nicht gleichgiltig ein. Wir machen nicht selten sonderbare Fehler. Oft ist der arme Mann, wenn ihn auch Hunger und Kälte plagen, in der Hauptsache doch nur schmutzig, zerlumpt und roh. Das ist zum Teil sein Geschmack und nicht bloß sein Unglück. Schenkst Du ihm Geld, so kauft er vielleicht noch mehr Lumpen dafür. Ich hatte immer Mitleid mit den unbeholfenen irischen Arbeitern, die in ihren gewöhnlichen und zerlumpten Kleidern Eis schnitten, während ich in meinem der Jahreszeit mehr entsprechenden und etwas eleganteren Anzug vor Kälte zitterte. Als aber an einem bitterkalten Tage einer der Arbeiter, der ins Wasser gerutscht war, in mein Haus kam, um sich zu wärmen, hatte er drei paar Hosen und zwei paar Strümpfe abzustreifen, bis er auf die Haut kam. Ich aber erkannte, daß er aus gutem Grunde Extra kleider, die ich ihm anbot, ablehnen konnte – trotzdem seine Hosen schmutzig und zerlumpt genug waren – denn er hatte genug intra . Gerade das kalte Bad hatte einem dringenden Bedürfnis abgeholfen. Daraufhin bekam ich Mitleid mit mir selbst, und ich sah ein, daß meine Nächstenliebe besser angewendet wäre, wenn ich mir ein Flanellhemd, anstatt ihm ein ganzes "Alte Kleider-Magazin"schenken würde. Tausende hacken an den Zweigen des Übels herum, doch nur einer trifft die Wurzel. Und vielleicht erzeugt gerade dieser Eine, welcher für die Armen die meiste Zeit und das meiste Geld hergibt, durch seine Lebensweise das Elend, das er vergebens zu lindern sich bemüht. Er gleicht dem frommen Sklavenhändler, der das Geld, welches er an jedem zehnten Sklaven verdient, zur Einführung der "Sonntagsruhe" für die übrigen verwendet. Manche Menschen zeigen ihre Milde gegen Arme dadurch, daß sie dieselben in ihrer Küche beschäftigen. Würden sie nicht mehr Güte beweisen, wenn sie sich selbst dort beschäftigten? Du prahlst damit, daß Du den zehnten Teil Deines Einkommens mildtätigen Zwecken zuwendest! Vielleicht solltest Du neun Zehntel so verwenden, und damit Basta! – Die Gesellschaft erhält also nur den zehnten Teil des Eigentums zurück. Verdankt sie dies dem Edelsinn des jeweiligen Besitzers oder der Schlaffheit der Diener der Gerechtigkeit?
Philanthropie ist die einzige Tugend, die von der Menschheit genügend geschätzt wird. Ja, sie wird sogar viel zu hoch eingeschätzt! Und wer überschätzt sie? Unsere Selbstsucht! Ein kräftiger armer Mann, der in Concord lebt, pries mir gegenüber an einem sonnigen Tag einen Mitbürger, der, wie er sagte, wohltätig gegen die Armen sei. Damit meinte er sich selbst. Die guten Onkel und Tanten des Menschengeschlechtes werden mehr geachtet als seine wahren geistigen Väter und Mütter. Ich hörte einmal einen Geistlichen über England sprechen, einen Mann von Wissen und Intelligenz. Der begann, nachdem er zunächst die wissenschaftlichen, literarischen und politischen Autoritäten – Shakespeare, Bacon, Cromwell, Milton, Newton und andere – aufgezählt hatte, sogleich von christlichen Helden zu reden, die er, wie es sein Beruf von ihm verlangte, als die Größten aller Großen hoch über alle andere stellte. Seine Helden waren Penn, Howard und Mrs. Fry. Jedermann kann fühlen, daß das heuchlerische Redensarten und Lügen waren. Diese letzten Drei waren nicht Englands beste Männer und Frauen; höchstens – vielleicht – seine besten Philanthropen.
Ich will das Lob, das der Philanthropie zukommt, in keiner Weiseschmälern. Ich will nur Gerechtigkeit für alle verlangen, die durch ihr Leben und durch ihre Werke ein Segen für die Menschheit sind. Ich ziehe nicht in erster Linie die Rechtschaffenheit und die Gutmütigkeit eines Menschen in Rechnung, die gewissermaßen sein Stamm und seine Blätter sind. Jene Pflanzen, aus deren getrocknetem Grün wir Tee für die Kranken bereiten, dienen nur niederem Zweck und werden meistens von Quacksalbern benutzt. Ich verlange des Menschen Blüte und Frucht. Ich will, daß ein würziger Duft von ihm zu mir herüberschwebe, daß eine Art von Reife unserem Verkehr Geschmack
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